Rabenblut drängt (German Edition)
sollte, kam aber zu dem Schluss, dass ein Schnaps da eher angebracht wäre. Schließlich entschied ich mich doch dagegen und schenkte mir nur ein Glas Milch ein.
Braves Mädchen. Das Letzte, was ich jetzt nämlich gebrauchen konnte, war ein Alkoholrausch, der mich in eine wimmernde, liebeskranke Masse verwandeln würde.
Ich griff in den Korb und zog den ersten Brief heraus. Eine Rechnung vom Wasserwerk. Damit war also der Stapel ›Rechnungen und Mahnungen‹ eröffnet. Die nächsten Briefe waren privat an Marek und Lara gerichtet, die ich natürlich nicht öffnete. Es waren auch zwei Briefe an mich darunter. Einer von meinen Eltern und einer von meinem Bruder Timo. Wie süß: Er hatte mir ein Foto von seinem ersten Auto geschickt.
Anscheinend hatte er seine Fahrprüfung ohne Probleme geschafft und sich einen neun Jahre alten Golf gekauft. Ich beschloss, ihm eine Mail zu schreiben, sobald ich hiermit fertig wäre.
Wenn ich jemals damit fertig werden würde! Inzwischen hatte ich sieben Stapel vor mir liegen und trotzdem wurde der Korb nicht leerer. Rechnung, Rechnung, ein Brief für Lara, noch eine Rechnung. Ich legte alles säuberlich ab, doch plötzlich blieb mein Blick an einem Namen hängen, und mein Herz setzte einen Schlag aus:
Nepovím, Alexej.
Das Papier brannte mir in den Händen. Tatsächlich, dort stand in Druckbuchstaben Herrn Marek Javorček und darunter z.H. Herrn Nepovím, Alexej .
Ich strich mit dem Zeigefinger über den Namen und sog dabei jeden Buchstaben auf.
Weil ich niemals Spuren hinterlasse.
Na, wenn das nicht eine Spur war! Okay, das konnte alles Mögliche sein, aber allein Alexejs Name, schwarz auf weiß gedruckt, entzündete einen hoffnungsvollen Funken in mir. Ich suchte nach einem Absender, aber der Aufdruck neben der Briefmarke war verblasst. Sah aus wie ein Firmenstempel, überlegte ich. Nein - das war ein Stempel vom Krankenhaus! Jetzt schickten sie nach Wochen also doch eine Privatrechnung. Marek würde sich bedanken.
Ob ich ihn wohl öffnen durfte? Ich wog ihn den Händen und seufzte. Alexej war nun mal nicht hier, und da er auch keine Adresse hinterlassen hatte, konnte ich ihm den Brief auch unmöglich nachsenden. Vielleicht sollte ich ihn Marek geben, schließlich stand sein Name über dem Empfänger.
Der Wunsch, den Umschlag einfach aufzureißen, wurde beinahe übermächtig. Da suchte ich seit zwei Wochen nach irgendeinem Lebenszeichen, und jetzt, wo ich einen winzigen Schnipsel davon in den Händen hielt, sollte es am Briefgeheimnis scheitern? Ich haderte mit mir selbst.
Nein, ich würde den Brief nicht öffnen!
Ich legte den Umschlag also auf den Tisch und versuchte seinen Anblick zu ignorieren. Aber er schien geradezu zu lodern, und immer wieder rutschte mein Blick zurück. Wenn er doch nur offen gewesen wäre! In einen geöffneten Brief einen kleinen Blick zu werfen, war sicher nur halb so verwerflich.
Ich brauchte noch eine weitere halbe Stunde, bis ich den Korb endlich geleert hatte.
»Fertig?«, brummte Marek, ohne aufzusehen.
»Ja.« Alexejs Brief hielt ich unschlüssig in der Hand.
»Sonst noch was?«
»Hier ist noch ein Brief, der ist an Alexej adressiert. Vermutlich die Rechnung vom Krankenhaus oder so. Ich weiß nicht, was ich damit machen soll.«
Marek hob seine Augenbrauen.
»Scheiße, lass das keine Rechnung sein! Ein Tag auf der Intensivstation ist sündhaft teuer.« Er griff nach dem Brief, überflog die Adresse nur eine Sekunde und riss, ohne viel Federlesens, den Umschlag auf. Ich bekam runde Augen und schnappte nach Luft.
»Sch-schon mal was vom Briefgeheimnis gehört?«
»Isa!«, sagte er streng. »Hast du sonst keine Sorgen?«
»Nein, das war momentan meine Einzige«, gestand ich und beobachtete gespannt, wie er zwei Blätter aus dem Umschlag zog, den Inhalt überflog und die Stirn runzelte.
»Was ist es?«
»Sein Arztbrief. Was für ein Kauderwelsch, das kann ja kein Schwein lesen!«, schimpfte er. »Hier, das sollte eigentlich an seinen Hausarzt weitergeleitet werden. Keine Ahnung, warum der jetzt erst kommt, ist doch ziemlich witzlos, wo er doch schon längst wieder gesund ist.« Er reichte mir die Blätter und beugte sich wieder über die Tastatur.
»Marek, ich könnte dir die Füße küssen!«, rief ich überschwänglich und drückte die Seiten an mich.
»Ich werde bei Gelegenheit darauf zurückkommen.«
»Kannst du mir sagen, was drin steht?«, fragte ich hoffnungsvoll.
Er seufzte und streckte eine Hand nach den
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