Rabenblut drängt (German Edition)
verlierst doch niemals die Beherrschung.«
»Ich versuche es zu vermeiden, da muss ich dir recht geben. Aber ich bin weit davon entfernt, so beherrscht zu sein, wie du denkst. Im Gegenteil. Neuerdings bin ich kaum Herr über meine Sinne.«
»Und warum habe ich davon noch nichts gemerkt?«
»Schauspielerei«, schnarrte ich und zupfte an einer Schwungfeder, die sich störrischerweise nicht anlegen wollte.
» Das ist es also?« Ein rollendes Lachen drang aus seiner Brust. »Das ist das ganze Geheimnis? Du tust nur so als ob? Ich fass es nicht! Aber wie kommt es, dass man vor dir nichts verbergen kann? Wieso weißt du immer, ob jemand ehrlich zu dir ist? Das ist echt gruselig, weißt du?«
»Ist es nicht.« Ich schüttelte den Kopf. Eigentlich gab es keinen Grund, warum ich es ihm nicht sagen sollte - es war nicht wirklich ein Geheimnis.
»Ich kann es riechen.«
»Du kannst was riechen?«
»Wenn jemand nicht aufrichtig ist.«
»So, wie ein Lügendetektor?«
Ich keckerte belustigt. »Nicht direkt - vielleicht beschreibt es riechen nicht allein. Ich spüre es auch, und ich höre es. Es ist vielmehr eine gebündelte Wahrnehmung, wenn du so willst. Als wären meine Sinne überreizt und nähmen jede noch so winzige Kleinigkeit in sich auf. Ich sehe, wie sich dein Lidschlag beschleunigt und ich höre, wie dein Blut lauter und schneller pulsiert. Außerdem kann ich den Duft riechen, den dein Körper ausströmt, wenn er gestresst ist. Ich rieche das Adrenalin.«
»Im Ernst?«
Ich nickte.
»Jetzt habe ich echt Angst vor dir.«
»Blödsinn!«, rief ich aus. Vielleicht hätte ich das besser für mich behalten sollen. Aber das Ganze war eine Fähigkeit, die mir völlig normal erschien. Ich konnte mir kaum vorstellen, dass jemand das anders sehen sollte.
»Ich bin einfach nur besonders empfänglich.«
»Und was bin ich? Ein unsensibler Klotz, oder was?«
Ich zuckte mit den Schultern. »Würdest du mir etwas über deinen Vater erzählen?« Ich ließ meine Stimme in ein sanftes Timbre fallen. »Wenn es dich nicht zu sehr schmerzt. Manchmal tut es gut, mit einem Außenstehenden darüber zu sprechen. Man reagiert weniger emotional und kann sich an schöne Dinge erinnern, ohne mit dem Warum zu hadern.«
Er nickte und entspannte sich sichtlich. »Eigentlich brauchst du mich gar nicht nach etwas Schönem zu fragen, mir fällt gar nichts anderes ein. Vielleicht verdrängt man auch die Dinge, die schlecht waren, aber mein Vater -«, seine Flügel zuckten kurz, »- er war ein cooler Typ. Irgendwie witzig. Meine Mutter musste immer die Strenge sein, während er mit uns jeden Quatsch anstellte. Er ist Schlosser - ich meine, er war es. Er ging früh aus dem Haus und kam spät zurück. An den Wochenenden schnappte er sich einen Rucksack und ging mit uns in den Wald. Tja, heute weiß ich warum. Wahrscheinlich sehnte er sich furchtbar nach der Natur. Jedenfalls war es ihm völlig egal, ob wir uns einsauten oder mal eine Hose zerrissen. Er baute Häuschen aus Stöcken und ließ uns das Moos aus dem Waldboden kratzen, damit sie ein Dach bekamen. Aus Eicheln und Kastanien bastelte er Männchen für uns. Meine Schwestern zerstampften Gras und anderes Zeug, das mein Vater dann als stinkenden Verband ums Bein tragen musste. Er war ihr Versuchskaninchen.« Arwed grinste. »Er hat alles klaglos über sich ergehen lassen. Und er hat uns auch nie spüren lassen, dass er anders war.«
»Wusstest du, dass er dir sein Rabenblut vererben würde? Hat er mit dir darüber gesprochen?«
»Immer. Ich wusste es schon immer. Er muss mir davon erzählt haben, als ich noch sehr klein gewesen bin. Es war ein Geheimnis unter uns Männern. Er hat gesagt, wenn ich groß wäre, könnte ich fliegen. Und dass ich etwas Besonderes wäre.«
Meine Kehle verengte sich bei diesen Worten und ich schluckte mühsam.
»Das klingt, als wäre er ein großartiger Vater gewesen.«
»Ja, das war er.«
Ich warf Arwed einen ernsten Blick zu. »Wir werden herausfinden, wer für seinen Tod verantwortlich ist«, sagte ich leise. »Das verspreche ich dir.«
Rabenhitze
E s gibt Dinge, die gibt es gar nicht.
Es war dieser Satz von Schwester Eva, der mir nicht mehr aus dem Kopf gehen wollte. Mein Schlafverhalten hatte sich also nicht wirklich gebessert, seit ich diese Spur verfolgte. Im Gegenteil - es gab mir noch mehr Möglichkeiten zu den wildesten Spekulationen.
Zwei Herzen.
Ob Alexej das wusste?
Ich stellte mir diese Frage und gleichzeitig war ich
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