Rabenblut drängt (German Edition)
Nebengeräusche zu hören waren. Manche Menschen haben vielleicht unerkannt einen kleinen Herzfehler, zum Beispiel ein Loch in der Scheidewand oder so, das würde auch Geräusche verursachen, muss aber nicht zwingend behandlungsbedürftig sein.«
»Aber bei dieser weiteren Untersuchung, diesem Echo -«
»Echokardiogramm.«
»Würde man dort dieses Loch nicht sehen können?«
»Vermutlich. Aber ich arbeite hier chirurgisch, wenn Sie genaue Informationen brauchen, sollten sie vielleicht mit einem Arzt der ›Inneren‹ sprechen, die haben schließlich auch die Untersuchung durchgeführt.«
»Die würden mir wahrscheinlich nichts erzählen. Trotzdem vielen Dank, dass Sie sich die Zeit genommen haben!«
»Keine Ursache.«
Ich machte wohl ein ziemlich unbefriedigtes Gesicht, denn sie sprach mich noch einmal an.
«Ich muss jetzt noch eine Runde durch die Zimmer drehen und nach den letzten OPs sehen. Danach wollte ich die alten Akten aus dem Arztzimmer holen und sie ins Archiv bringen. Vielleicht ist die Akte ihres Freundes noch hier oben, dann werfe ich mal einen Blick hinein.«
Ich war sprachlos. Das war wirklich mal ein nettes Angebot.
»Wir haben hinten einen Aufenthaltsraum, da können sie warten.«
»Danke.«
Um mir die Zeit zu vertreiben, betrachtete ich die Bilder an den langen Flurwänden. Der Künstler hieß Max Švabinský. Ich hatte den Namen noch nie gehört, aber das bedeutete gar nichts - vermutlich war er allen tschechischen Schulklassen ein Begriff. Auf einem Bild saß eine ärmlich gekleidete Frau auf einem Hügel vor einer dünnen windschiefen Birke.
Eine kleine Familie steuerte auf den Aufenthaltsraum zu, in ihrer Mitte einen jungen Mann mit Gipsbein. Ich nickte freundlich und suchte dann die Besuchertoilette auf. Als ich nach wenigen Minuten wieder herauskam, schob Schwester Eva einen Wagen mit Patientenakten über den Flur. Sie hielt zwischendurch an, klappte die eine oder andere Kurve auf und notierte etwas, dann schob sie den Wagen weiter zur nächsten Tür. Sie winkte mir zu.
»Ich habe etwas gefunden«, sagte sie fröhlich. »Sie interessieren sich doch für außergewöhnliche Fälle, nicht wahr?«
»Äh ja, genau so ist es.«
Sie warf mir einen kritischen Blick zu, ließ sich aber doch durch ihre Entdeckung hinreißen.
»Dann stellen sie sich vor, wir hatten einmal einen Patienten, der hatte seltsame Nebengeräusche am Herzen. Und bei einer Echountersuchung konnte man ganz deutlich eine Deformierung sehen. Ich kann Ihnen das einmal aufmalen.«
Sie zog einen Block aus ihrer Kitteltasche und zeichnete mit ihrem Kugelschreiber ein großes eiförmiges Gebilde auf, das sie durch ein Kreuz in vier Teile teilte.
»Hier kann man genau alle Kammern sehen, und dann ist auf der linken Seite eine größere Ausbuchtung. Irgendwie ulkig. Ich habe mir die Bilder vom Farbdoppler angeguckt. Da war nur ein kleines Fleckchen Blut in diesem Anhängsel, nur ein Rinnsal. Genaueres würde man natürlich sehen, wenn man einen Ultraschall durch die Speiseröhre macht. Aber gerade dieser Patient hat das abgelehnt.«
»Kann das krankhafte Ursachen haben, oder ist das vielleicht nur eine Fehlbildung?«
»Man könnte natürlich so was wie ein Aneurysma vermuten, dabei weitet sich ein Gefäß sackartig aus und droht zu reißen, das wäre aber sehr schmerzhaft und würde Symptome ähnlich eines Herzinfarkts verursachen. Das war hier aber nicht der Fall. Ich bin kein Spezialist, wie gesagt, aber wenn ich den Befund richtig verstehe, hat diese Aussackung pulsiert und zwar in einem völlig anderen Rhythmus als das Herz, viel schneller. Und so was habe ich noch nie gehört. Als hätte der Patient quasi ein zweites Herz auf Reserve, und das auch noch – und das ist wirklich absolut außergewöhnlich - mit einem eigenen Reizleitungssystem.«
»Ist das nicht gefährlich? Könnte diese Aussackung nicht auch reißen?«
»Wenn es ein echtes Aneurysma wäre, schon, aber der Befund ist sehr widersprüchlich, und da der Patient in keiner Weise über irgendwelche Beschwerden geklagt hat, würde ich mir nicht so viele Sorgen machen. Bei der Größe dieses Anhängsels müsste er wirklich starke Schmerzen haben, wenn es pathologische Gründe hätte.«
Sie zwinkerte mir zu. »Es gibt Dinge, die gibt es eigentlich gar nicht«, versuchte sie mich zu beruhigen. »Schließlich gibt es auch Menschen, die haben drei Nieren. Wer weiß, was sich die Natur dabei gedacht hat.«
Es gibt Dinge, die gibt es gar nicht , wiederholte
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