Rabenblut drängt (German Edition)
verletzt wie du denkst. Sie hat mir nur die Augen geöffnet. Ich war vorher so dumm zu glauben, dass mein Leben so sein könnte wie deins!«
»Das kann es auch!«
»Das kann es nicht. Niemals!« Ich lief ruhelos durch das Zimmer.
»Wie kannst du von mir verlangen, dazu zu stehen und mich nicht mehr zu verstecken, wo du es noch nicht einmal fertigbringst, diese abscheuliche Wahrheit über mich deiner eigenen Frau zu erzählen?«
»Wer sagt, dass ich es ihr nicht erzählt habe?«
Erschrocken hielt ich in meinem Lauf inne. »Das hast du nicht!«
»Und wenn doch?«
»Das glaube ich dir nicht!«
»Hmh«, brummte er. »Und wenn ich es ihr nicht gesagt hätte, glaubst du, Katha wäre vorhin so cool geblieben, nachdem du durch unser Wohnzimmerfenster gekracht bist?«
Das war allerdings ein Argument.
»Und - und was hat sie gesagt?« Meine Stimme zitterte unkontrolliert.
»Sie hat mir kein Wort geglaubt, ist doch klar. Wir diskutierten gerade darüber, als du herein ... äh ... kamst. Sie hat gesagt, ich soll aufhören sie zu verarschen.«
»Das habe ich so niemals gesagt!«
Unsere Blicke flogen zur Tür.
»Das würde ich nie sagen, schon gar nicht vor den Kindern«, wiederholte Katharina und schloss die Tür hinter sich.
»Die Kinder waren ja auch gar nicht dabei.«
Seine Frau trug einen dicken Pappkarton zum Fenster. Sie hatte sich ein Kehrblech unter den Arm geklemmt und versuchte den Karton mit Klebestreifen am Fensterrahmen zu befestigen.
Ich ging zu ihr und nahm ihr das Kehrblech ab.
»Das mit dem Fenster tut mir furchtbar leid«, erklärte ich und bückte mich, um die Scherben aufzukehren.
»Ist nicht so tragisch, Nikolaus wird sich heute noch darum kümmern. Nicht wahr, Niki?«
Er brummte etwas vor sich hin, als seine Frau plötzlich einen spitzen Schrei ausstieß.
»Mein Gott, du blutest ja!«, kreischte sie auf. »Du musst dich an den Scherben verletzt haben, als du hindurch - du liebe Güte, bist du wirklich hindurch geflogen ?«
»Ich konnte nicht anders«, gab ich zu.
Der Blick, den sie mir zuwarf, war alles andere als angeekelt, eher überrascht. »Warte, ich mach dir ein Pflaster auf die Schnittwunden.«
»Das ist nicht nötig«, wollte ich sie abwehren, aber sie konnte sich nicht vom Anblick meines Rückens losreißen.
»Ist das ein Bild von dir?«, fragte sie interessiert und musterte den Raben zwischen meinen Schulterblättern.
Ich nickte.
»Und das hast du machen lassen, ohne ihn zu fragen?«, wollte sie von ihrem Mann wissen. Nikolaus zog in böser Vorahnung den Kopf ein.
»Deshalb also der Wodka! Mann, du bist echt ein Trottel!«, schimpfte sie und boxte ihn in die Seite. »Aber weißt du, Alexej, es sieht ziemlich gut aus. Nein, im Ernst, es sieht richtig toll aus! Niki hat an derselben Stelle einen - nun ja«, sie kicherte, »einen Schmetterling.«
Einen Schmetterling?
Sie zwinkerte mir verschwörerisch zu, und ihr Mann hob irritiert die Augenbrauen. Das reizte mich so sehr zum Lachen, dass mir die Tränen in die Augen schossen. Katharina stimmte in mein Lachen mit ein. Nur Nikolaus war leicht verdutzt.
»He, was ist daran so witzig? Wenn ich dich erinnern darf, liebe Frau, hast du das Bild damals ausgesucht, ja?«
Hoffnungsblick
D er Schotter knirschte unter herannahenden Autoreifen. Ich war mit den Anderen in der Küche zum Mittagessen, aber bei diesem Geräusch hob ich den Kopf. So häufig fuhren keine Autos zu uns, und der Jimny stand vor dem Haus und hielt ein Nickerchen.
Ich schob den Stuhl zurück und eilte nach draußen.
»Timo!«, kreischte ich und sprang die wenigen Stufen hinunter meinem kleinen Bruder entgegen. Aber was hieß hier klein? Vor einem halben Jahr hatte er noch viel jungenhafter ausgesehen, dachte ich. Himmel, er war riesig, und außerdem kratzte seine Wange bei der Umarmung.
»Du wächst ja immer noch«, rief ich freudig aus und stellte mich auf die Zehenspitzen, um ihm die kurzen Haare zu strubbeln. Er stöhnte genervt.
»Bis eben habe ich gedacht, ich hätte dich vermisst.«
»Hast du auch! Und ich erst! Fröhliche Weihnachten!« Ich schleifte ihn zur Tür. »Ich hätte niemals gedacht, dass dich Mama heute fahren lässt.«
»Hat sie auch nicht. Ich habe mich einfach aus dem Staub gemacht. Sie wollten, dass ich mit zu ihren Bekannten fahre. Hallo? Wie alt bin ich denn? Also, da hatte ich echt keinen Bock drauf!«
»Aber du hast ihnen Bescheid gesagt, oder muss ich jetzt zuhause anrufen und Entwarnung
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