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Rabenblut drängt (German Edition)

Rabenblut drängt (German Edition)

Titel: Rabenblut drängt (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nikola Hotel
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Schnabel stieß er immer noch drohende Krählaute aus.
    Himmel, war der wütend! Gebannt beobachtete ich, was als Nächstes passieren würde. Jaru hüpfte erst auf der Stelle und zog sich auf einmal zurück. Er überließ dem Stärkeren das Feld. Das aggressive Verhalten des ausgewachsenen Raben machte mir Angst. Am liebsten hätte ich mich auch einfach davon gemacht, aber dann siegte doch meine Neugierde.
    Der Rabe hatte sich umgedreht und stolzierte auf mich zu. Ein Schauder überlief mich.
    Er sah in dieser Haltung sehr imponierend aus, und ich war wie hypnotisiert von seinem Blick. Seine Augen schimmerten samtig und warm, wie dunkelbraune Kastanien. Sein Gefieder glänzte. Er war so - so wunderschön! Gänsehaut breitet sich über meine Arme aus.
    Der Vogel kam näher - so nah, dass ich nur die Hand hätte ausstrecken brauchen, um seine Federn zu berühren. Nur sein dominanter Gesichtsausdruck hielt mich davon ab.
    Höchstwahrscheinlich war er ein Rabe aus Jarus Schwarm - ein Junggeselle. Na, lange würde er das nicht bleiben, denn mit diesem Auftreten konnte er alle anderen paarungswilligen Männchen im nächsten Frühjahr locker vertreiben.
    Er legte den Kopf zur Seite, als überlegte er. Bei Jaru sah das immer sehr ulkig aus, bei diesem Raben aber nicht. Dieser wirkte ernst und beherrscht.
    Dann schien seine ganze Dominanz plötzlich von ihm abzufallen. Die dunklen Augen blinzelten nicht einmal. Es lag ein beinahe zärtlicher Ausdruck in ihnen. Eben noch warm und dunkel meinte ich, einen blauen Schimmer in ihnen wahrzunehmen.
    Ob es eine Verbindung zwischen diesem Raben und Alexej gab? Irgendetwas war da. Etwas, das nicht greifbar war, aber doch vorhanden. Ich hätte schreien mögen, so frustrierend war der Gedanke, dass ich es vielleicht nie herausfinden würde.
    Wo ist Alexej? Wo ist er nur? Mir schossen die Tränen in die Augen. Dann wurde mir mit Schrecken bewusst, dass ich meine Fragen laut gestellt hatte. Warum passierte mir das immer wieder?
    Der Rabe spreizte die Flügel und flatterte unentschlossen auf der Stelle. Hatte ich ihn mit meiner Stimme erschreckt?
    Jetzt war es sowieso schon egal:
    »Wo ist er?«, fragte ich und hörte selbst, dass meine Stimme dabei völlig verzweifelt klang.

Menschenherz
     
     
     
    I ch flatterte hilflos auf der Stelle. Hilflos, weil es mir beinahe körperliche Schmerzen verursachte, zu sehen, wie traurig Isabeau war. Und weil es unerträglich war, ihr nicht antworten zu können.
    Ich war seit Stunden unterwegs: Seitdem ich mich vor den Augen von Nikolaus und dem Tätowierer unfreiwillig verwandelt hatte, war ich an keinem Ort länger als eine halbe Stunde geblieben. Etwas in mir trieb mich zur Flucht. Etwas in mir war verzweifelt, so gebrandmarkt worden zu sein und versuchte dem zu entkommen.
    Aber es gab kein Entkommen vor mir selbst.
    Ziellos war ich umhergeflogen. Hinaus aus der Stadt - fort von den Menschen, fort von dem Lärm der Straßen. Erst nach langer Zeit merkte ich, dass ich unbewusst den Weg nach Hause gewählt hatte. Doch zurück zum Schwarm wollte ich nicht. Ich wollte allein sein, um in Ruhe nachzudenken.
    Und ich wollte Isabeau sehen.
    Sie war es, die mich hierher gelockt hatte und nicht die Verbindung zu meinem Schwarm. Ich musste zugeben, dass das Gefühl der Sehnsucht stärker war, als die Bande zwischen uns Tieren. Und diese Erkenntnis stürzte mich in tiefe Selbstzweifel: Welchen Sinn hatte es schon dieser Sehnsucht nachzugeben?
    Ich war ein Rabe. Ein Rabe!
    Ich beobachtete sie, als sie ihr Haus verließ. Nicht zum ersten Mal verfolgte ich ihren Weg durch den Wald. Doch diesmal war Jaro bei ihr.
    Ich war erleichtert, dass er seine Aufgabe nach Isabeau zu sehen so ernst nahm. Die beiden schienen vertraut. Doch wieso hatte Jaro nicht den nötigen Abstand gewahrt? Wusste er nicht, wie nah er daran war, entdeckt zu werden?
    Die beiden spielten miteinander: Jaro fraß ihr das Essen in kleinen Happen aus der Hand. Er hüpfte auf ihren Schoß und neckte sie. Und in mir wuchs auf einmal ein unbändiges Gefühl der Eifersucht. Wie Gift floss es durch meinen Körper und infizierte jede Zelle. Isabeau lachte über Jaros Neckerei, sie sah glücklich aus.
    Und doch war alles nur ein Spiel. Sie war nicht glücklich.
    »Wo ist er?«, fragte sie mich.
    Ihre Augen füllten sich mit Tränen und ich wandte den Blick ab. Mein Menschenherz pochte in meiner Brust. Quälend versuchte es sich auszudehnen. Es drängte mich, ihr zu antworten. Und nicht nur das: Alles in

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