Rabenblut drängt (German Edition)
von Jarus Schwarm geraten, um ihn nicht schon wieder in Schwierigkeiten zu bringen. Denn die ersten paar Tage, nachdem er von dem ausgewachsenen Kolkraben angegriffen worden war, hatte er sich viel zurückhaltender gezeigt, und ich hatte mich sehr bemühen müssen, sein Vertrauen zurückzuerlangen. Deshalb näherte ich mich seinem Schlafplatz nur bis auf hundert Meter.
»Jaru?«, rief ich leise. »Jaru?« Ich stieß einen kurzen Pfiff aus und gleich darauf hörte ich ein Flattern. Ein Zischen, und Timo duckte sich erschrocken, weil Jaru knapp über seinem Kopf auf mich zuflog.
Unsanft landete er auf meinem Arm.
»Du hast schon wieder zugenommen«, stellte ich fest. »Bald muss ich mit Hanteln trainieren, damit ich dich tragen kann.«
Jaru keckerte laut und anhaltend.
»Mann, hab ich mich erschreckt! Hättest du mich nicht vorwarnen können?«, sagte Timo vorwurfsvoll.
»Ich glaub, er lacht dich aus.«
»Danke auch!«
» Isabb «, krähte Jaru hingebungsvoll. » Isabb, Isabb. «
»Hört sich an wie Isabeau«, sagte Timo.
»Findest du auch? Ich dachte schon, ich bilde mir das nur ein. Ist er nicht wunderschön?«
»Ich weiß nicht. Sind alle Raben so zahm?«
»Natürlich nicht. Jaru ist etwas Besonderes. Außerdem würde ich ihn nicht als zahm bezeichnen - eher zutraulich. Er macht nur das, wozu er auch Lust hat.«
Ich kramte in der Tasche nach etwas Essbarem. Eine Notfallration hatte ich immer dabei - man konnte ja nie wissen. Diesmal bestand sie aus klein gewürfeltem Gouda.
»Du magst doch Käse?«
Jaru schnappte sich gierig den Brocken, das war Antwort genug.
»Darf ich auch mal probieren?« Timo hielt ihm ein Stück vor den Schnabel, und Jaru pickte ihm in den Finger.
»Autsch. Blödes Vieh!«
Ich lachte und streichelte Jaru über die Brust.
»Wo ist denn dein großer strenger Freund geblieben«, fragte ich den Raben interessiert. »Ich habe ihn nie wieder gesehen.«
» Akii «, krächzte er.
»Und Alexej? Hast du Alexej mal wieder gesehen?«
» Aki. Aki .« Jetzt krähte er hilflos.
Timo schaut mich entgeistert an. »Du redest mit ihm? Ist dir nicht gut?«
»Das ist irgendwie so ein Ritual zwischen uns«, klärte ich ihn auf. »Ich frage ihn nach Alexej, und er antwortet mir immer dasselbe. Ich weiß auch nicht, warum er das tut. Aber so unterhalten wir uns.«
Timo sah mich an, als sei ich nicht mehr ganz richtig im Kopf.
»Weißt du«, sagte er argwöhnisch. »Ich glaube, wir gehen besser mal zurück. Ich will auch noch mein Zimmer inspizieren und es wird schon langsam spät, wenn wir heute noch was erleben wollen.«
»Was willst du denn hier erleben?«
»Nun nicht gerade hier!«, erklärte er, machte eine ausladende Geste mit den Armen und verdrehte die Augen.
Jaru stieß sich von meinem Arm ab hoch in die Luft. Ich sah einen Ast in einiger Entfernung wippen, auf dem er gelandet sein musste.
»Schade, jetzt hast du ihn verscheucht.«
Timo hatte seine Sachen in meiner Hütte verstaut und fläzte sich gerade auf mein Bett, als Lara hereinkam. Sie sah unschlüssig aus, wie jemand, dem eine unangenehme Aufgabe bevorstand. Normalerweise war sie geradeheraus und nicht so vorsichtig. Ich wusste nicht, ob sie sauer auf mich war, oder ob sie ein schlechtes Gewissen hatte. Jedenfalls wollte ich mich nicht mit ihr streiten.
Sie war wirklich eine sehr gute Freundin. Und es sprach nur für sie, dass sie mich nicht länger so unglücklich sehen wollte.
»Wir wollten heute Abend nach Prag fahren«, sagte Timo. »Durch die Altstadt bummeln und so. Isa hat mir gebeichtet, dass sie noch nicht einmal dort war. Das geht ja wohl gar nicht!«
»Da hast du vollkommen recht. Schande über dich, Isa!«, sagte Lara. »Aber vielleicht könnt ihr euren Plan auf morgen verschieben?«
»Wieso, was steht an?«, fragte Timo.
Laras Ton war seltsam, als gäbe es schlechte Neuigkeiten.
»Ist was passiert?«, fragte ich.
»Nein, nein. Aber ich habe hier etwas, das euch vielleicht Spaß machen würde.« Sie hielt mir einen weißen Briefumschlag hin. Ich nahm ihn und zog den Inhalt heraus.
Drei Konzertkarten.
»Woher sind die denn?«, fragte ich überrascht und studierte sie genauer. › Weihnachtskonzert ‹ stand da. Und darunter:
F. Chopin: Concerto for piano and orchestra No. 2
in F minor Op. 21
F. Chopin: Concerto for piano and orchestra No. 1
in E minor Op. 11
26. December, Saturday 7:30 pm
Dvořák Hall
Ich war überrumpelt. »Hast du die Karten gekauft?«
Sie schüttelte den
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