Rabenblut drängt (German Edition)
doch bei mir schlafen«, entgegnete ich.
»Klar, und sich jeden Abend anhören, wie du dich in den Schlaf weinst.«
»Ich heule überhaupt nicht!«
»Wieso heulst du?«, fragte Timo.
»Ich heule gar nicht, das habe ich doch gerade gesagt!«
Ich hätte Lara erwürgen können.
»Jedenfalls kannst du Alexejs Zimmer haben«, sagte sie gerade.
»Nein!«, entfuhr es mir. Lara hob eine Augenbraue an und ich lenkte vorsichtig ein.
»Das heißt, wieso eigentlich nicht.«
»Stimmt«, sagte sie böse. »Wieso auch nicht? Alexej braucht es ja nicht mehr. Er ist schließlich weg!« Sie beugte sich provozierend vor. »Und da er nicht wiederkommen wird, können wir auch endlich seine Klamotten entsorgen.«
»Nein!«
»Und ob. Er ist jetzt seit Wochen weg. Mir reicht es langsam! Ich will, dass du aufhörst, so unglücklich zu sein! Vergiss ihn einfach!«
Super! Musste sie mich ausgerechnet vor meinem Bruder so bloßstellen?
»Lass uns das Zeug wegschmeißen! Heute wäre ein Supertag dafür. Dein Bruder könnte uns helfen.«
»Bitte nicht.« Ich schaute sie flehend an.
»Kann mir mal einer erklären, was das heißen soll? Wer ist der Kerl überhaupt von dem ihr redet?«
»Gute Frage!«, hakte Lara ein. »Sehr gute Frage! Wer ist Alexej überhaupt? Wir wissen doch gar nichts über ihn! Vielleicht hat er sich nur eine kleine Auszeit genommen und sitzt jetzt wieder zuhause bei Frau und schätzungsweise sieben Kindern. Und du heulst immer noch hier rum und trauerst ihm nach. Hast du denn gar keinen Stolz?«
Ich war so wütend auf Lara, dass ich ohne ein weiteres Wort vom Tisch aufstand. Ich wollte mir das nicht länger anhören. Mein Bruder machte irgendwelche beschwichtigenden Handzeichen, aber ich musste an die frische Luft.
Timo kam mir nach, und gemeinsam liefen wir den Weg in Richtung Wald.
»Soll ich dir zeigen, wo ich die meiste Zeit verbringe?«, fragte ich, als ich mich einigermaßen beruhigt hatte.
Er beäugte mich misstrauisch von der Seite.
»Gewöhnlich mache ich jeden Tag eine andere Runde. Ich suche nach gerissenen Tieren und nach Losungen von Luchsen, also ihren Kotspuren. Der Kot wird von uns makroskopisch auf seine Inhaltsstoffe untersucht. Und wenn wir ihre Beutetiere finden, dann ist es meine Aufgabe, die Schlingfallen darum zu positionieren. Marek beobachtet die Fallen mithilfe einer Kamera. Und wenn wir, was nicht alle Tage vorkommt, einen Luchs einfangen, dann wird er mit einem Halsband besendet. Hörst du mir überhaupt zu?«
»Ja.«
»Was Lara da eben gesagt hat, ist vollkommener Quatsch. Ich heule mich nicht in den Schlaf, oder so. Ehrlich nicht.«
»Ach, nein? Sah mir eben aber nicht so aus, als würde sie sich das nur ausdenken.«
»Jetzt fall mir noch in den Rücken!«
»Tu ich ja gar nicht. Aber Lara scheint wirklich eine gute Freundin zu sein.«
»Wie kommst du darauf?«
»Nicht jeder bringt es fertig, dir so gehörig den Kopf zu waschen.« Er grinste. »Jetzt mal ehrlich. Ihr scheint sehr viel an dir zu liegen, sonst würde sie sich wohl kaum so viele Sorgen um dich machen.«
»Sie sollte lieber aufhören, mich zu quälen.«
»Quält es dich denn?«, fragte er und es überraschte mich, dass seine Stimme so verständnisvoll klang. So kannte ich ihn gar nicht.
»Schon. Manchmal. Eigentlich immer.«
»Und was ist das für ein Typ, dieser Alexej?«
»Das ist eine lange Geschichte«, sagte ich abweisend. »Und jetzt sag nicht: Ich hab Zeit! Das gilt nicht!«
»Habe aber gerade nichts Besseres vor.«
»Okay, pass auf! Alexej kam aus dem Nichts und dahin ist er wieder verschwunden - das ist alles. Mehr gibt es nicht zu erzählen.«
»Und im Mittelteil?«
»Was willst du hören? So was wie: Da hat er mir mein Herz gestohlen?«
»Geht es auch weniger kitschig?«
»Leider nicht«, sagte ich. »Denn genauso fühlt es sich an - wie ein Loch. Und wo vorher etwas war, ist jetzt gähnende Leere. Und alles darum herum krampft sich zusammen, um das Loch zu schließen. So und genau so fühlt es sich an, okay?«
»Ist ja schon gut, Isa.«
Es ist überhaupt nicht gut, dachte ich.
Ich würde gerne einen anderen Schmerz spüren, damit ich diesen einen nicht weiter fühlen musste. Aber das konnte ich ihm unmöglich sagen.
»Komm! Ich möchte dich jemandem vorstellen«, sagte ich plötzlich.
»Hier im Wald?«
»Ist das so abwegig?«
Mittlerweile war ich den Weg so oft gegangen, ich hätte ihn mit verbunden Augen zurücklegen können. Ich wollte nicht zu nah an den Schlafplatz
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