Rabenbrüder
Vornamen von Achims Freundinnen unbekannt.
Ein plötzliches und sehr forsches Klingeln an der Haustür ließ sie den Laptop eilig zuklappen. Es waren aber keine Familienmitglieder, die den Schlüssel vergessen hatten, sondern zwei fremde Männer. Es gehe um eine reine Routinebefragung, sagten die Kriminalkommissare und zückten ihre Ausweise.
»Momentan bin ich ganz allein im Haus und kann Ihnen wahrscheinlich nicht weiterhelfen«, sagte Annette. »Wir haben einen Todesfall in der Familie, deswegen bin ich heute erst angereist.«
Ob sie trotzdem hereindürften? fragten die Beamten, und Annette konnte es nicht gut verhindern.
»Sie haben sicher erfahren, daß in unserem friedlichen Bretzenheim ein Tötungsdelikt begangen wurde«, sagte der Ältere, »und zwar zum Nachteil eines gewissen Heiko Sommer; kennen Sie ihn?«
Es täte ihr leid, sagte Annette, da müßten sie ihren Mann oder ihre Schwiegermutter fragen.
Deswegen seien sie ja hier, erfuhr sie, denn der Wagen des Toten sei kürzlich vor dieser Tür gesichtet worden. Wann Annette ihre Angehörigen zurückerwarte?
Im selben Moment hörte Annette ein Motorengeräusch und lief eilig an die Haustür. »Paul, komm bitte schnell ins Wohnzimmer«, sagte sie, »da sitzen zwei von der Kripo. Weißt du etwas von einem Mord hier in Bretzenheim?«
Paul reagierte nicht gleich, sondern packte umständlich zwei Plastiktüten mit Lebensmitteln aus dem Kofferraum.
Achim schaltete schneller. »Mama, es wäre lieb von dir, wenn du Annette mit in die Küche nimmst, sie verhungert uns sonst noch. Paul und ich kümmern uns in der Zwischenzeit um die Bullen.«
Diese Bezeichnung für zwei höfliche Herren fand Annette zwar deplaciert, aber es war einfühlsam von Achim, seine Mutter zu schonen; Paul wäre nie auf die Idee gekommen.
In der Küche band sich ihre Schwiegermutter eine kürbisgelbe Schürze über das weiße Kleid und fragte: »Möchtest du einen Schluck Kakao trinken? Wir müssen jetzt endlich mit dem Kochen beginnen, es gibt neue Kartöffelchen und Roastbeef mit Kräutersoße, das mag Jean Paul so gern.«
Angestrengt versuchte Annette, die Stimmen der vier Männer im Nebenzimmer auseinanderzuhalten.
Einer von ihnen schien schließlich die Tür zum Flur zu öffnen, denn jetzt konnte man Achim halbwegs verstehen: »Wann das war, kann ich nicht mehr genau sagen. Herr Sommer wollte damals meinen Wagen kaufen und hatte ausschließlich mit mir verhandelt. Sie brauchen meine Mutter also nicht zu befragen, sie kennt ihn bestimmt nicht.«
Annette bezweifelte seine Behauptung ein wenig, denn Achim wohnte ihres Wissens schon lange nicht mehr im Elternhaus, und Autos verkaufte er sicher nicht dort im Wohnzimmer.
»Annettchen, einarmig kann man wohl keine Kräuter hacken«, sagte ihre Schwiegermutter. »Erzähl mir lieber etwas von deinen aufregenden Reisen! Übrigens mußte man zu meiner Zeit nach einer Gehirnerschütterung geschlagene drei Wochen flachliegen.«
Endlich hörten sie die Haustür zufallen. Aber Paul und Achim hatten wohl keine Lust, beim Küchendienst zu assistieren, denn sie unterhielten sich weiter, nur konnte man leider kein Wort verstehen.
»Auch ein trauriger Anlaß kann seine guten Seiten haben«, sagte die Mutter. »Es war immer mein größter Wunsch, daß meine Söhne ihr Leben lang gute Freunde bleiben. Leider hatten sie in den letzten Jahren nicht viel Kontakt miteinander, ihre Interessensgebiete waren immer grundverschieden. Aber jetzt sind sie wieder ein Herz und eine Seele, Blut ist eben dicker als Wasser.«
Annette hatte diesen Spruch aus dem Munde ihrer Schwiegermutter schon häufig gehört und haßte ihn. Wurde damit nicht unterstellt, daß sie in dieser Familie als dünne Wassersuppe galt?
Beim Abendessen, das früher als sonst stattfand, fragte Paul seinen Bruder: »Wann lerne ich endlich deine Freundin kennen?«
Annette blickte interessiert vom Teller hoch, als Achim antwortete: »Keine Ahnung. Sie kommt erst in den nächsten Tagen aus dem Urlaub zurück.«
Wie sie denn heiße? wollte Annette wissen.
Paul und seine Mutter antworteten gleichzeitig Gina und Grazia.
Alle lachten, Annette fragte: »Ja, wie denn nun?«
Aber Achim hielt es nicht für nötig, näher darauf einzugehen. »Sei nicht so neugierig, Kleines«, sagte er und strahlte sie an wie der leibhaftige Adonis.
Wie immer nach einem guten Essen war die Stimmung heiter, über den Toten wurde nicht mehr gesprochen. Von zwei Gläsern Rotwein und einigen Lachanfällen bekam
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