Rabenfeuer - Die Flammen der Goettin
Augen sowie das schwarze Gefieder, dem der metallische Glanz eines erwachsenen Raben noch fehlte.
»Der Vogel ist nicht tot, nur sehr schwach«, erklärte er und kehrte mit dem jungen Raben in der Hand zu den beiden Frauen zurück. »Es ist ein Jungtier, das vermutlich seit ein paar Tagen hier eingesperrt ist. Gebt ihm Nahrung und pflegt ihn, dann wird der Rabe überleben – genau wie dein Sohn, Mana.« Er drückte ihr den Vogel in die Hand und wandte sich der Hebamme zu. »Zeig mir das Kind.«
Die Frau nickte und legte ihm den Säugling in den Arm. Amartus schlug die Wolldecke zurück und betrachtete den Jungen. Sanft fuhr er mit den Händen über die Gliedmaßen des Kindes und murmelte leise Worte vor sich hin. Nach einer Weile deckte er es zu und gab es der Hebamme zurück.
»Der linke Arm und das linke Bein deines Sohnes sind gelähmt, allerdings nicht völlig ohne Kraft«, erklärte er Mana. »Wenn der Junge heranwächst, wird sich der Arm leicht anwinkeln. Damit sich das Handgelenk und seine Finger nicht nach innen verkrümmen, fertige ich eine Lederschiene für ihn an, die beides gestreckt hält.« Er wies an seinem Arm vom Ellenbogen bis zu den Fingerkuppen, um ihr zu verdeutlichen, welcher Bereich gestützt werden sollte. »Das Bein scheint weniger betroffen zu sein als der Arm. Er wird auf jeden Fall laufen lernen, ein Hinken kann ich jedoch nicht ausschließen.«
Der Waldhüter sah sich in der Kate um. »Für den Anfang, Mana, leg dich mit dem Jungen auf die Bettstatt dort in der Ecke und ruht euch aus. Ich helfe deiner Begleiterin, diese Hütte für dich und dein Kind einzurichten.«
»Ich danke dir für deine Güte, Amartus.«
Er lächelte. »Es kann alles noch gut werden, Mana, das weiß ich. Ich kümmere mich mit dir um den Jungen und lehre ihn, was er wissen muss.«
Ihr Gesicht verdunkelte sich. »Sie werden ihn ins Bergwerk holen, Amartus.«
Der Hüter des Waldes nickte. »Ja, so wird es kommen. Aber bis dahin wird dein Sohn zum Mann herangewachsen sein.« In väterlicher Geste legte er ihr die Hand auf die Schulter. »Die nächsten Jahre werden eine Zeit der Prüfung sein, das will ich nicht leugnen. Doch ihr beide könnt sie bestehen, denn den ersten Schritt dafür hast du bereits getan.«
1
Sechzehn Jahre später
»Gorik, halte sofort deinen großen Schnabel, sonst binde ich ihn dir zu!« Der am Boden kauernde, junge Mann warf dem Raben, der über ihm auf einem Ast saß, einen bösen Blick zu. »Wenn Mutter mich entdeckt, kann ich meinen Ausflug zur Burg heute Abend vergessen.«
Der Vogel stieß ein vorwurfsvolles Krächzen aus, blieb dann aber stumm.
Erleichtert atmete der hochgewachsene Mann aus und beobachtete von seinem Versteck aus die blonde Frau, die vor der Kate am Waldrand stand und nach ihm Ausschau hielt.
»Raven, wo bist du?«, rief sie ungeduldig. »Die Suppe wird kalt! Ich gehe jetzt hinein. Wenn es dunkel wird, verriegle ich die Tür, dann kannst du sehen, wo du die Nacht verbringst.« Sie schüttelte unzufrieden den Kopf und betrat die Hütte.
»Immer behandelt Mutter mich wie ein kleines Kind!« Raven verzog das Gesicht. »Dabei habe ich letztes Jahr das Mannesalter erreicht.« Er kroch aus dem Gebüsch, in dem er sich verborgen hatte, und richtete sich auf. Sorgsam strich er mit seiner gesunden Hand das Laub von den sauberen Kleidern, die er zuvor in Abwesenheit seiner Mutter aus der Kate geholt hatte. Er hoffte inständig, sie würde das Fehlen der guten Jacke und Hose nicht bemerken, denn sonst wüsste sie sofort, was er vorhatte. Und das würde ihr nicht gefallen.
Nachdem er die Blätter aus seinem schulterlangen, dunkelblonden Haar entfernt hatte, das offen auf seinen Rücken fiel, stieß er einen leisen Pfiff aus. Lautlos segelte der Rabe vom Baum herunter und landete auf seiner Schulter. »Es wird Zeit zu gehen, Gorik«, erklärte er und lief los, »sonst verpassen wir den Kampfwettbewerb.«
Der Rabe plusterte sein Gefieder auf und wackelte mit dem Kopf.
Raven stöhnte. »Ich weiß, dir wäre es ebenfalls lieber, ich würde hier bleiben. Aber Prinz Heron wird heute fünfzehn Jahre alt und Fürst Wegon feiert den Eintritt seines Sohnes ins Mannesalter mit einem Fest und Kampfspielen. Alle anderen aus der Siedlung gehen auch hin. Ich will nicht der Einzige sein, der bei diesem großartigen Ereignis nicht dabei ist – egal was Mutter sagt.«
Mit einem Krächzen stieß sich der Rabe von seiner Schulter ab und flog zu den Wipfeln der Bäume
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