Rabenfeuer - Die Flammen der Goettin
dem Weg, weil ich ...«
»... weil er ein Krüppel ist!«, vervollständigte Menwin seinen Satz, der dem Prinzen mit einigen anderen Kriegern zu Pferd hinter den Tribünen vorbei gefolgt war. »Der Kerl lebt in der Grubensiedlung. Ein Trottel, der meiner Schwester ständig schöne Augen macht.«
Die Krieger und die umstehenden Männer und Frauen lachten, doch Heron schnaubte verärgert. »Es ist mir egal, wer er ist. Seinetwegen wäre ich fast gestürzt.«
»Soll ich ihn bestrafen, Prinz?«, fragte Menwin und trieb sein Pferd erwartungsvoll auf Raven zu.
»Nein«, erwiderte Heron. »Diesen Spaß übernehme ich selbst.« Er zog sein Schwert aus dem Waffengürtel und richtete es auf Raven. »Steh auf!«
Zögernd kam Raven auf die Beine und versuchte, gerade zu stehen. Die Situation gefiel ihm ganz und gar nicht und sein Herz hämmerte vor Anspannung in seiner Brust.
Verächtlich musterte ihn Heron vom Sattel aus. »Ganz offensichtlich ein Krüppel. Wie kam es dazu?«
»Ich wurde so geboren, Herr.« Demütig neigte er den Kopf in der Hoffnung, den Prinzen damit zu besänftigen.
»Ein Gebrechen von Geburt an ist eine Strafe der Göttin«, erklärte dieser abfällig. »Und ich werde dich jetzt ebenfalls zeichnen. Das wird dich lehren, deinem Herrn den Weg nicht zu versperren oder Frauen mit deiner Aufwartung zu beleidigen.«
Die Menge um sie herum lachte erneut und Schweißperlen traten auf Ravens Stirn. Der Prinz meinte es ernst und würde nicht zögern, ihn zu verletzen oder gar zu verstümmeln. Verzweifelt sah er sich nach einer Fluchtmöglichkeit um, aber es gab keine ...
Ein schrilles Krächzen ertönte über ihren Köpfen und Raven blickte überrascht auf. Etwas Schwarzes stieß mit ohrenbetäubenden Schreien auf Herons Schimmel nieder und brachte das Tier zum Steigen. Der Prinz griff die Zügel fester und hieb mit dem Schwert nach seinem gefiederten Angreifer. Der Vogel wich jedoch geschickt aus und attackierte nun Menwin und die anderen Krieger.
Raven zögerte nicht. Goriks Getöse hielt Heron sicher nicht lange von seinen Plänen ab. Er warf seinem Rabenfreund einen dankbaren Blick zu, dann wandte er sich um und rannte zu den Ständen der Händler.
»Dieses verfluchte Krähenvieh!« Heron hatte seinen Hengst wieder unter Kontrolle gebracht und blickte sich wütend nach ihm um. »Wo ist der Bastard hin?«
»Er ist zwischen den Zelten verschwunden, Herr«, rief Menwin und wies dem Prinzen die Richtung.
»Ihm nach!« Heron schwang sein Schwert und trieb den Schimmel vorwärts.
Ravens Herz raste, während er sich humpelnd seinen Weg durch den Festplatz bahnte. Er musste unbedingt zum Wald gelangen, denn nur dort hatte er eine Chance, seinen Verfolgern zu entkommen. Hinter sich hörte er die Aufschreie der Festbesucher, die vor den Pferden des Prinzen und denen seiner Krieger zur Seite sprangen. Es würde eine Weile dauern, bis Heron und die Männer ihre Reittiere durch die engen Gänge hindurch getrieben hatten, diese Zeit musste er nutzen.
Er ließ die letzte Zeltreihe hinter sich und lief auf die abgeernteten Felder hinaus, die sich vor dem Waldrand erstreckten. Der Weg über die Stoppeläcker war das gefährlichste Stück seiner Flucht – und leider auch das schwierigste, da der Boden uneben war und er langsamer laufen musste, damit er nicht hinfiel. Zwar hatte die Dämmerung begonnen, trotzdem würden ihn die Reiter im offenen Gelände bald ausfindig machen. Allerdings hatte er keine Wahl, er musste weiter, wenn ihm seine körperliche Unversehrtheit – und inzwischen wohl auch sein Leben – lieb waren.
Aus der Ferne erschall vielstimmiges Johlen. Ohne sich umzudrehen, wusste Raven, Heron und seine Krieger hatten die Zelte hinter sich gelassen. Er keuchte und hielt unbeirrt auf den Wald zu, obwohl er kaum noch Luft bekam. Nur wenige Schritte und er würde in Sicherheit sein.
Ein triumphierender Aufschrei verriet Raven, dass einer seiner Verfolger ihn im Halbdunkeln entdeckt haben musste. Der Hufschlag eines Pferdes näherte sich, er gab alle Vorsicht auf und rannte so schnell er konnte. Sein Brustkorb schien unter der Anstrengung zu zerspringen. Er musste es schaffen, in den Schutz der Bäume zu gelangen.
Kurz bevor Raven den Waldrand erreichte, holte der Reiter ihn ein.
»Hast du geglaubt, du kannst deiner Strafe entkommen?«, rief Heron. Er galoppierte dicht an ihn heran und holte mit dem Schwert aus.
Die Klinge des Prinzen traf Raven am Rücken und die Wucht des Schlages riss ihn nieder.
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