Rabenfeuer - Die Flammen der Goettin
schwer an. Das Letzte, was sie sah, war Jorins zufriedener Blick, bevor ihr Kopf auf Ravens Schulter fiel und sie in den Schlaf abglitt.
12
Auf dem Markt in Dorswyn angekommen wollte Raven sich sofort auf die Suche nach Pferden machen, damit er und Kara ihre Reise zu Amartus schleunigst fortsetzen konnten. Doch der Anführer der Gauklertruppe hatte sein nächtliches Versprechen nicht vergessen. Orwyn trat auf sie zu, kaum waren Jorin, Kara und er von der Ladefläche abgestiegen.
»Wir schulden euch Dreien unser Leben«, erklärte das Oberhaupt der Spielleute. »Ohne euch hätten wir die Räuber vergangene Nacht nicht in die Flucht schlagen können. Zum Dank wollen wir euch zu unserer Vorstellung heute Abend einladen. Bitte erweist uns die Ehre und kommt.«
Raven zögerte. Am liebsten hätte er abgelehnt, andererseits war es bereits Nachmittag. Bis sie den Pferdekauf abgewickelt hätten, bliebe kaum noch Zeit bis zur Dämmerung – loszureiten lohnte sich also kaum. Außerdem würden sie hier in dem Gedränge des Marktes kaum entdeckt werden, und eine Pause tat sowohl ihm als auch Kara gut.
»Einverstanden«, erwiderte er. »Wir sehen uns eure Vorstellung an.«
»Ihr bekommt die besten Plätze«, versprach Orwyn erfreut.
»Und danach esst ihr mit uns zu Abend«, bestimmte seine Frau Zerda. »Ich koche etwas besonders Feines für unsere Ehrengäste.«
Bei dem Wort Ehrengäste zuckte Kara, die bisher geschwiegen hatte, zusammen und sah betreten an ihrem einst weißen Kleid herunter: Der Saum war eingerissen und der Rock mit Dreckspritzern übersät. Deyna, eine der beiden Schwiegertöchter Orwyns, bemerkte ihren unglücklichen Blick.
»Kommt mit in den Wagen, dort putze ich dich heraus«, forderte sie Kara auf. »Ich bin nämlich für unsere Kostüme und Frisuren verantwortlich.« Kichernd fügte sie an. »Nicht einmal dein Mann wird dich wiedererkennen, wenn ich mit dir fertig bin.«
Fragend blickte Kara zu ihm herüber. Es war unübersehbar, wie gerne sie in den Genuss von Wasser, Seife und Kamm kommen würde.
»Geh mit ihr«, erklärte er. »Ich warte vor dem Wagen.«
»Oh, dein Mann lässt dich ja keinen Moment alleine«, sagte Deyna anerkennend und hakte Kara unter. »Ich wünschte, meiner würde sich so um mich sorgen.«
Raven sah noch, wie sich Karas Miene bei Deynas Worten verfinsterte, bevor sie mit der Gauklerin unter der Plane eines Wagens verschwand. Nachdenklich ging er zur Deichsel eines gegenüberstehenden Fuhrwerkes und ließ sich darauf nieder.
Karas Verhalten gestern Abend während des Überfalls der Räuber gab ihm Rätsel auf. Weil er gefürchtet hatte, die Angreifer würden sich nach einem möglichen Sieg an den Frauen vergreifen, hatte er Kara gehen lassen – wohl wissend, sie würde diese Gelegenheit zur Flucht nicht ungenutzt lassen. Stattdessen war sie zurückgekehrt und hatte ihn gerettet. Warum? Empfand sie doch mehr als nur Hass und Verachtung für ihn?
Er wagte kaum daran zu glauben. Vor lauter Verwirrung hatte er es nicht einmal fertiggebracht, ihr zu danken. Zu tief hatte ihn die Hoffnung aufgewühlt – und die Furcht, sich vielleicht zu irren. Ein Schatten fiel auf ihn und Raven sah auf. Jorin stand neben ihm.
»Darf ich mich zu dir setzen?«, erkundigte sich der Barde.
»Ja, aber ich bin nicht in Gesprächslaune.«
»Das scheinst du nie zu sein.« Jorin ließ sich auf der Deichsel nieder und lächelte wissend. »In jeder Ehe gibt es schlechte Tage.«
Warum musste Jorin ausgerechnet dieses Thema anschneiden? »Ich ... es war eine arrangierte Heirat«, erwiderte Raven ausweichend. »Kara wollte mich nicht zum Mann.« So nah wie möglich an der Wahrheit zu bleiben, war bestimmt am einfachsten.
»Kara ist jung, sie braucht viel Verständnis von dir.« Der Barde schmunzelte. »Ich bin sicher, ihr zwei werdet euren Weg finden.«
Wenn du wüsstest , dachte Raven bitter. Er musste dringend den Verlauf dieser Unterhaltung, die er eigentlich überhaupt nicht führen wollte, ändern. »Erzähl etwas von deinen Reisen, Jorin!«
Bereitwillig kam der Barde seiner Aufforderung nach und begann von den Städten, Dörfern und Burgen zu erzählen, die er auf seinen Wanderungen gesehen hatte.
Doch Raven hörte ihm überhaupt nicht zu, denn in diesem Moment stieg Kara hinter Deyna von dem Wagen herunter. Bisher kannte er sie nur in der weißen Kleidung der Tempeldienerinnen und mit zusammengebundenen Haaren. Nun stand sie dort in einem eng anliegenden, dunkelgrünen Kleid, Schminke
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