Rabenfeuer - Die Flammen der Goettin
weite Ferne gerückt. Ihre leise Hoffnung, er würde sie im Gegenzug für ihre Hilfe gehen lassen, hatte sich nicht erfüllt. Im Gegenteil, er hatte noch nicht einmal ein Wort des Dankes gefunden! Raven war nicht besser als der Mann, den er gerade eben getötet hatte. Vermutlich würde er sogleich eine Belohnung von den Spielleuten fordern, für den Beistand, den er ihnen geleistet hatte.
Karas Kehle schnürte sich zu und ihre Augen begannen zu brennen. Wieder einmal war sie auf ihn hereingefallen, wieder einmal hatte sie auf die Wünsche ihres Herzens gehört, und wieder einmal hatte das in einer Katastrophe geendet. Wann lernte sie endlich, sich wie eine erwachsene Frau zu benehmen und nicht wie ein dummes Mädchen?
Ihre Mutter hatte recht: Sie musste dringend anfangen, die Dinge mit dem Kopf zu entscheiden und nicht mit dem Bauch. Theon und die anderen Tempelbewohner vertrauten darauf, dass sie Hilfe holte und Herons Anwesenheit im Tempel ein Ende bereitete. Und was tat sie? Wegen sinnloser Gefühle riskierte sie einen Krieg und damit das Leben vieler unschuldiger Menschen.
Kara schluckte, doch die Bitterkeit in ihrem Inneren verschwand nicht. Kaum nahm sie wahr, wie die Gaukler die Pferde anspannten und ihr Nachtlager räumten. Die Männer und Frauen sprachen wenig miteinander, der Schrecken des Überfalls saß tief. Kara verstand nur zu gut, dass sie diesen Ort so schnell wie möglich verlassen wollten. Zwei der Spielleute waren leicht verletzt worden, aber alle waren über den glimpflichen Ausgang dieses Kampfes mehr als erleichtert.
Als alles Gepäck auf den Wagen verstaut war, kamen die Gaukler zu ihnen.
Der Mann, auf dessen Wagen sie am Vortag mitgefahren waren, ergriff das Wort. »Ich heiße Orwyn«, erklärte er. »Das ist meine Frau Zerda. Zu meiner Linken stehen meine beiden Söhne mit ihren Frauen und das dort ist mein Bruder.« Er reichte Raven die Hand und schüttelte sie ausgiebig. »Im Namen meiner Familie bedanke ich mich für eure Unterstützung während des Überfalls. Sobald wir in Dorswyn angekommen sind, werden wir uns dafür erkenntlich zeigen.« Orwyn lächelte und machte eine einladende Geste in Richtung der Ladefläche.
Überrumpelt von dieser unerwarteten Vorstellung und Ankündigung nickten Kara, Raven und Jorin allen Mitgliedern der Spielmannstruppe zu.
Der Morgen graute bereits, als Raven ihr auf den Wagen hinauf half und dort ein paar Kisten auseinanderschob, damit sie sich nebeneinander setzen konnten. Jorin nahm gegenüber von ihnen Platz, lehnte sich gegen einen Sack und schloss die Augen. Wie gerne hätte sie auch geschlafen, aber Kara wusste, sie würde keine Ruhe finden. Tränen liefen über ihr Gesicht, Tränen der Wut, der Erschöpfung, der Angst – und der Einsamkeit. Was hätte sie in diesem Augenblick für einen vertrauten Menschen gegeben, der sie in dem Arm nahm, streichelte und ihr Trost zusprach.
Doch Raven, der ihr am nächsten war, kümmerte ihr Wohlergehen nicht. Sein einziges Interesse bestand darin, Heron ... Kara hob den Kopf. Moment, in ihren Überlegungen stimmte etwas nicht! Beim Angriff der Räuber hatte Raven sie in den Wald geschickt, obwohl er gewusst haben musste, dass sie diese Gelegenheit zur Flucht nutzen und er sie vielleicht nicht wiederfinden würde. Vor allem, da der Rabe weiterhin fort war. Zudem hatte er im Kampf sein Leben riskiert – und hinterher keine Belohnung von den Spielleuten gefordert. Wieso hatte er das getan? Warum hatte er sich nicht mit ihr gemeinsam im Wald versteckt, sondern war diese Wagnisse eingegangen?
Aus den Augenwinkeln blickte sie unauffällig zu ihm hinüber. Raven sah müde aus, hielt den Kopf gesenkt, seine Lider waren halb geschlossen. Die Anstrengungen der letzten Tage waren also tatsächlich nicht spurlos an ihm vorübergegangen!
Kara vernahm ein Geräusch und sah auf. Jorin döste nicht, sondern betrachtete Raven ebenfalls, und der Gesichtsausdruck des Barden zeigte etwas, das sie am ehesten mit väterlicher Sorge umschrieben hätte. Aber das musste sie sich einbilden, sie kannten Jorin kaum einen Tag.
Der Barde wandte ihr den Kopf zu und lächelte sie an. »Versuche, zu schlafen, Kara«, sagte er leise.
»Es geht nicht«, gestand sie, »ich komme nicht zur Ruhe.«
»Oh doch, das wirst du, meine Tochter.« Er hob seine Hand und vollführte eine wellenförmige Bewegung.
Kara nickte höflich, wenn auch wenig überzeugt. Trotzdem musste sie plötzlich gähnen und ihr Körper fühlte sich merkwürdig
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