Rabenflüstern (German Edition)
ihrem Herrn aufgestellt. Von einem Mann, der dem Spektakel eher belustigt als beunruhigt beiwohnte, erfuhren der Fürst und Fjönir was geschehen war. Offenbar hatte einer der Einberufenen einen Kelch besonderen Weins als Geschenk dargeboten. Geschenke dieser Art waren durchaus üblich, doch Urbas witterte Verrat und hatte den Überbringer, außer sich vor Zorn und Misstrauen, einen Giftmischer geheißen. Daraufhin hatten die Adligen ihn in einer Hauruckaktion absetzen wollen, mit dem lautstarken Vorwurf der Unzurechenbarkeit. Wütendes Gezänk hatte in der ansonsten so streng geordneten Halle eingesetzt. Allmählich entwickelte sich die Sache zu einer Pattsituation. Keiner der Emporkömmlinge wagte es, seinen Unterstützern den Befehl zum Angriff zu geben. Zum einen fürchteten sie einen ungünstigen Ausgang, zum anderen würde, falls sie es denn auf den Thron schafften, ihre zukünftige Legitimität unter einem offenen Königsmord beträchtlichen Schaden nehmen.
›Ihr verlangt, dass ich weiche? Meine Krone einem dahergelaufenen Lumpen überantworte?‹, schrie der alte König, der nun gänzlich aus der Haut fuhr ob der Dreistigkeit der Anwesenden. Den Kelch mit dem angeblich vergifteten Wein hielt er dabei immer noch in der gestikulierenden Linken. Es wurde stiller, alle Augenpaare richteten sich auf den greisen Mann, der in seiner verzweifelten Rage kümmerlich wirkte. ›Wie ihr wollt‹, geiferte er weiter, ›ich werde noch heute einen Nachfolger bestimmen!‹
Fjönir zählte indes zwanzig Sommer. Ein Troll ist in diesem Alter nicht gänzlich ausgewachsen, dennoch überragte er jeden anderen im Raum um gut einen Kopf.
In den Augen Urbas’ funkelte es boshaft. ›Ich übergebe meine Krone, mein Reich, meine Burg und meine Speere an – den da!‹ Sein zittriger Zeigefinger deutete in die Ansammlung dicht gedrängter Edelleute. Es dauerte eine ganze Weile, bis man begriff, wen er meinte. Der Fürst, der ihn hergebracht hatte, sowie alle Übrigen in seiner Nähe machten einen Schritt von dem jungen Troll weg. Der König lachte, als er das Entsetzen auf den Gesichtern der Anwesenden sah. ›Ganz recht! Du bist von nun an Herr der Dänen.‹ Er zog sich die Krone vom Haupt und warf sie dem Troll entgegen. Dieser fing sie instinktiv auf. Schwer schluckend besah er sich den silbernen Reif in seiner Hand, dann wanderte sein Blick durch den Raum. In den wölfischen Fratzen, die nach dem Metall gierten, erkannte er dem Wesen nach jene Ritter, die ihn damals seiner Familie beraubt hatten. Tollkühn setzte er sich die Insignie auf den Kopf. Sie war zu klein, doch es gelang ihm, sie zwischen zwei Knorpeln einzuklemmen. Entgeistertes Schweigen beherrschte die Halle, während Fjönir auf den ehemaligen König Urbas zuging. Erst als er ihn erreicht hatte, erweckte ein Ruf die Paralysierten zu neuem Leben. ›Niemals!‹, dröhnte es durch die Halle und beipflichtendes Gemurmel schwoll laut von allen Seiten an.
Da erhob sich die Stimme eines Einzelnen, den niemand zu kennen schien. Sie forderte die von den rätselhaften Ereignissen überraschte und verdutzt dreinblickende Wache auf, ihren neuen König zu verteidigen. Fjönirs Augen fanden jene des einzigen Freundes, den er in diesem Raum zu haben schien. Sie waren alt und saßen in tiefen Höhlen. Die dazugehörige Person, ein kleinwüchsiger Mann mittleren Alters, zauberte ein Schwert unter seinem Mantel hervor, legte es auf den Boden und versetzte ihm einen Tritt. Die Klinge rutschte über die Fliesen und kam direkt vor dem frischgebackenen König zum Liegen. Dieser bückte sich – gerade im rechten Augenblick, denn ein auf seinen Rücken gezielter Bolzen flog über ihn hinweg und bohrte sich in Urbas’ Kehle. ›Mord!‹, entfuhr es dem Anführer der Wache und sogleich hieben er und die Seinen auf die Menge ein. Mit Fjönir an der Spitze massakrierten sie den Großteil der dänischen Adelsleute samt deren Höflingen.
Im Nachhinein hieß es, Fjönir habe einen jeden der sieben Thronanwärter, von denen ich sprach, selbst erschlagen.
Nachdem wieder Ruhe eingekehrt war, die wenigen Überlebenden sich vor dem König verneigten, wie es sich ziemte, suchte er nach seinem Fürsprecher. Statt des Mannes fand er ein hutzeliges Wesen vor, in dem er allein an seinen Augen den unerwarteten Freund wiedererkannte. ›Ich bin Heilwig‹, sprach das Wesen. ›Keine Sorge, junger König. Ich werde dir schon beibringen, wie man ein Land regiert.‹«
»Dieser Heilwig
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