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Rabenflüstern (German Edition)

Rabenflüstern (German Edition)

Titel: Rabenflüstern (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Philipp Schmidt
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mit Stöcken gestützt. Als sie damit fertig waren, fragte Kraeh in die Runde, wer es sich zutraue, von hier aus einen Pfeil bis hinter den ersten Hügel zu schießen. Ein kräftiger Bursche namens Ubbo meldete sich. Er mochte nicht mehr als zwanzig Sommer zählen, doch seine Schultern waren beinahe doppelt so breit wie die Kraehs. Auf seinem Stiernacken saß ein für seinen übrigen Körperbau viel zu kleiner Kopf, passend zu seinem schlecht entwickelten Verstand. Wie einem Kind erklärte Erden ihm seine Aufgabe. Der zweite Bogen wurde Gnadnit gereicht. Die Bögen waren für die Jagd gedacht, und beide waren keine sonderlich guten Schützen, aber darauf kam es nicht an. Ein weiteres Dutzend Männer wurde zwischen den Attrappen verteilt, um im rechten Moment Furore zu machen und die in größeren Abständen aufgestellten Fackeln, die die Täuschung begünstigen würden, zu entzünden. 
    Der Rest fand seinen Weg durch die Finsternis zu einer Böschung am Rande des Weihers. Dort begaben sie sich in die Hocke. Auf Erdens Geheiß imitierte eine Drude einen Vogelruf und der erste Pfeil surrte von Gnadnits Sehne. Ein zweiter und dritter folgten. Ein Aufschrei war zu hören. Pfeil um Pfeil zischte über Weiher und Hügel. Es dauerte eine Weile, bis der Feind bereit war. Schließlich jedoch raunte Lou, die ein Stück weiter vorne Ausschau hielt: »Sie kommen.« Ein zweiter Vogelruf und das zurückgebliebene Dutzend klopfte auf ihre Schilde und zeigte den Soldaten damit, dass sie sie erwarteten. Wie gehofft trennten sich die zwei Trupps und marschierten zu beiden Seiten des Weihers auf die Falle zu. Gemeinsam wären sie zahlenmäßig überlegen gewesen, sie dachten aber, sie könnten den Gegner im Schutz der Dunkelheit einfach in die Zange nehmen, was das schnelle Ende eines jeden Schildwalls bedeutete. Unglücklicherweise hatte der stärkere der beiden Trupps den Weg eingeschlagen, wo Kraeh, Erden und Lou immer noch geduckt ausharrten. Die Soldaten, voll gerüstet mit Kettenhemden, großen runden Schilden, Äxten und Schwertern, trugen Fackeln, im Gegensatz zu dem zweiten kleineren Trupp, der auf der anderen Seite des Wassers auf gleicher Höhe in völliger Dunkelheit auf sie zumarschierte. Kraeh zählte hundertzwanzig. Vorsichtig zog er Lidunggrimm aus seiner Scheide. Die Männer und Frauen neben ihm taten es ihm gleich.  
    Als die Heranrückenden so nahe waren, dass sie ihren Atem sehen und den Geruch von Ale und Met wahrnehmen konnten, hob der Erste im Zug plötzlich seine Hand und der Trupp kam zum Stehen. Der Anführer musste etwas gehört haben – doch es war bereits zu spät. Erden brüllte einen Kriegsschrei. Sie griffen an. Lou huschte mit ihren Druden direkt durch das Gebüsch und fiel den Soldaten leicht verzögert in die Seite, während Erden von hinten und Kraeh von vorne attackierte. Sie trafen sie unvorbereitet. Ohne zu wissen, wohin mit ihren Fackeln und Schilden, und verunsichert durch die Schreie ihrer Kameraden zu allen Seiten, starben sie, noch ehe sie ahnten, wie wenige sich da todeswütig auf sie stürzten. Lidunggrimm glitt durch die ungeschützten Leiber wie durch Butter. Die Druden zeigten ebenso wenig Erbarmen wie Erden, dessen Beil hemmungslos einen nach dem anderen niederstreckte. Ihre Spieße durchdrangen Kettenglieder, stachen in Fleisch und zerfetzten beim Rausziehen Haut und Eingeweide. Bald lagen alle Fackeln am Boden und der Kampf tobte umso ungestümer weiter. Erst als Lidunggrimm auf den feuchten Stahl Pian Anams traf, rief Lou: »Halt!«  
    Keiner der Soldaten war mehr am Leben. Die Fackeln wurden aufgehoben und zeigten die blutverschmierten Gesichter der Sieger. Der Kampfesrausch war nicht verflogen, als sie aufbrachen, dem zweiten Trupp zu begegnen. Ihre Waffen und Herzen schrien nach Blut. Einmal im Taumel des Gefechts, setzen alle anderen Gedanken aus, Zahlen und strategische Erwägungen treten in den Hintergrund. Was bleibt, ist die Lust zu töten, und nichts außerdem. So wären Gnadnit, Ubbo und die anderen, die auf sie zugerannt kamen, dem Taumel womöglich zum Opfer gefallen, hätte Kraeh nicht im letzten Moment Einhalt geboten und den Freund als Freund ausgewiesen. Schnell ordneten die Hinzugekommenden sich in die drei Mann breite langgezogene Linie ein, die sich nach dem Ende des Kampfes ganz ohne Befehl bildete. Der Himmel riss auf und fahler Mondschein ergoss sich auf die Ebene. 
    Ihre wenigen Verwundeten mussten sie zurücklassen; um diese konnten sie sich später

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