Rabenflüstern (German Edition)
Kopf fühlte sich an, als würde ein boshafter Zwerg, der in seinen Träumen das Gesicht Bretels trug, mit einem Vorschlaghammer auf ihn eindreschen. Die Sonne war schon über den Zenit gewandert. Ihm fehlte die Erinnerung, doch er musste sich irgendwann mitten auf dem Achterdeck zusammengerollt haben. Einige Männer hievten, ihn ignorierend, Säcke und Truhen an ihm vorbei. Benebelt glitt er wie ein Schlafwandler durch ihr Treiben und legte sich auf seinen eigentlichen Schlafplatz, wo ihm sofort, von keiner Helligkeit mehr gestört, wieder die Augen zufielen.
Am späten Nachmittag machte er sich mit Lou, die Thorwik dabei geholfen hatte, mehrere Einkäufe zu koordinieren, zu Bretels Schmiede auf. Dort tauschten sie Kraehs alten Anderthalbhänder plus einen kleinen Aufschlag an Silbermünzen gegen ein gut gearbeitetes Rapier. Die schmale Klinge steckte in einer ledernen Scheide, die sich Lou sogleich an den Gürtel schnürte. Zudem ließ der Krieger einen der Gehilfen eine Tragehalterung an die Schatulle seiner neuen Schwerter befestigen, sodass er sie von nun an in gewohnter Weise auf den Rücken schnallen konnte. Der Zwerg zeigte seine Handwerkskunst, indem er eine ebenso einfache wie praktische Vorrichtung anbrachte, die verhinderte, dass die nach unten zeigende Klinge ungewollt herausrutschte, zugleich aber ebenso schnell wie die andere gezogen werden konnte. Damit war seine Kaufkraft, trotz tatkräftiger Unterstützung des Kapitäns beim Feilschen, beinahe erschöpft, was ihn jedoch nicht weiter beunruhigte. Geld war noch nie ein Problem gewesen. Für einen Krieger war es leicht, den Beutel zu füllen, außerdem hatten er und Sedain ein Vermögen angehäuft, das sie in den Auen nahe Brisak vergraben hatten.
Mit einiger Überredungskunst überzeugte der Zwerg sie noch, eine Attraktion dieses Landes mitzunehmen. Erschöpft folgten sie ihm in eine Seitenstraße zu einem niedrigen Eingang, über dem Schwarzloch geschrieben stand. Kraeh befürchtete schon, es handle sich wieder um ein Freudenhaus, doch im Inneren wurde ihm klar, worauf sich die Namensgebung bezog: Menschen von so dunkler Haut, wie er es noch nie zuvor gesehen hatte, flanierten auf bestickten Sofas und zogen an Schläuchen, die blubbernd in wohlgeformten Bäuchen großer Flaschen steckten.
Ausnahmsweise kam Bretel für diesen Spaß auf. Eine überdurchschnittlich kräftig gebaute Frau, von deren Kopf krauslockiges Haar in ihren faltigen Nacken fiel, stopfte behände den Kopf einer Pfeife mit einer schwarzen Wolle. Sie rauchte gekonnt an, bevor sie dem Zwerg den Schlauch reichte, den dieser nach wenigen Zügen weitergab. Die Wirkung der Droge war angenehm und entspannend. Ein Gefühl des Schwebens begleitete die Tagträume der vier. Sie sprachen nicht, verständigten sich nur gelegentlich durch ein Lächeln.
Nach einer schwer zu schätzenden Zeitspanne verließen sie beschwingt jenen süßen, lasterhaften Ort in einem Zustand, aus dem so mancher Einwohner der Stadt nicht mehr herausgefunden hatte und nun auf ewig gefangen im Halbschlaf vor sich hin vegetierte.
Lou hatte von Kraehs letztem Silber eine kleine Menge der getränkten Wolle und ein gefülltes Döschen mit gemahlenen Kaffeebohnen erstanden, von denen sie bei jeder neuen Pfeifenfüllung einen Aufguss umsonst dazubekommen hatten.
Endlich zurück auf der Fraja gestand der Kapitän seiner Mannschaft Ausgang bis Mitternacht zu. Den Soldaten befahl Kraeh, an Bord zu bleiben; er verspürte keine Lust, in den Morgenstunden Verlorengegangenen nachzustellen.
In der Dämmerung betraten Rhoderik und Heikhe das Schiff. Bronzene, mit bunten Perlen bestückte Armreife zierten ihre Handgelenke. Freudig zeigte sie ihren Schmuck herum und erntete ungeschickte Komplimente der rauen Seeleute. Sie hatte ihren Vater, ihren Bruder und vermutlich alle geliebten Menschen verloren, und dennoch schien sich ihre Kinderseele bereits wieder erholt zu haben. Sie war etwas Besonderes.
Der Halbelf stand an der Reling und sah auf die sich hinter der Engstelle erstreckende See, die den Eingang zum Hafen markierte. Er erzählte Kraeh von einer reifen, vollbusigen Frau, mit der er die vorangegangene Nacht verbracht hatte, lobte ihr Können und berichtete, wie es um ein Haar zum Handgemenge zwischen ihm und den beiden Bärtigen an ihrem Tisch gekommen wäre.
»Rhoderik ist einfach viel zu gutmütig«, schloss er entrüstet seinen Bericht.
Kraeh verzieh dem Freund die streitsüchtige Art nur deshalb,
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