Rabenflüstern (German Edition)
weil er wusste, dass er ebenso eine zwanzig Mann starke, waffenstarrende Gruppe angegangen wäre und auch schon angegangen war, wie die zwei Trunkenbolde von gestern abend.
Hinter ihnen wurde getrunken und gewürfelt, die Aufregung unter den Soldaten war nicht zu überhören, doch die innere Anspannung war ihnen ebenso anzumerken. Morgen bei Tagesanbruch würde es losgehen.
Das Meer erwartete sie. Und die Nornen spannen tief unter der Erde an den Fäden ihres Schicksals.
***
Das Meer war rau am Tage ihres Aufbruchs. Fischerkähne und andere kleinere Schiffe wagten es nicht, in See zu stechen, und so war vor ihnen nichts zu sehen als die brechenden Wogen, deren Gischt ein strenger Nordwestwind in weißen Schauern verwehte. Die Seeleute eilten eilig über Deck, während ein Dutzend Soldaten in einem fort Wasser mit Eimern aus der Bilge schöpfte, um es dann über die Reling zu schütten.
Der Kapitän wirkte ruhig; er sagte, dieses Lüftchen stelle keine Gefahr für die Fraja dar, und lachte herausfordernd, als eine Welle auf der Backbordseite brach.
Kraeh hielt sich an den Wanten fest und blickte zum kleiner werdenden Ufer zurück. Durch die salzwassergeschwängerte Luft hindurch sah er über den Dächern und den angrenzenden Wipfeln hoher Buchen die groteske Mischung aus Spinnenbeinen und schwarz gefiederten Flügeln kreisen. Auch Thorwik hatte sie gesehen und riss am Ruder. Das Hauptsegel füllte sich und die Fraja änderte den Kurs weiter als vom Kapitän beabsichtigt auf hohe See hinaus. Auch wenn der Seegang allein keine Gefahr darstellte, hätte ein Kampf unter diesen Bedingungen sie in Schwierigkeiten gebracht. Kein Mann war zu entbehren. In den Wellentälern stachen die Ruder gleichmäßig ins Wasser und trugen sie auf den nächsten Kamm zu. Es gab zwar Sandbänke in der Gegend, überlegte Thorwik laut, diese würden jedoch bei diesem Wellengang überspült sein und böten den Harpyien somit keinen Landeplatz. Sollten sie ihnen dennoch folgen, würde er sie so weit hinauslocken, dass ihnen irgendwann die Kräfte ausgingen und sie jämmerlich ertrinken würden. Dunkle Wolkenbänke verschlangen das Licht der Sonne, und bald reichte die Sicht nur noch zum nächsten Wellenkamm.
Nachdem Rhoderik an dem Versuch, Heikhe unter Deck zu bringen, gescheitert war, übergab er sich mehrere Male in das tiefdunkle Blau unendlicher Wassermassen, während Heikhe sich neben Kraeh an die Seile klammerte.
Immer weiter hinaus wurden sie getragen. Gegen Mittag ließ der Wind an Stärke nach und langsam klarte der Himmel auf. Weder Land noch ein Anzeichen der geflügelten Bestien waren auszumachen. Von Horizont zu Horizont nur Wasser und Stille, unterbrochen nur von vom gelegentlichen Kreischen einiger Möwen und der prustenden Wasserfontäne eines blasenden Wals. Die Ruderer wurden von ihrer Anstrengung erlöst, stürzten sich aber eingespielt sofort in neue Tätigkeiten – schrubbten und besserten Planken aus, flickten kletternd die Segel und zeigten den Soldaten, wie man die Bilge vom letzten bisschen Wasser frei machte, damit das Salz sich nicht im Holz festsetzte. Rhoderik, Sedain und Lou standen mit Heikhe am Heck, wo sie sich an im Kielwasser spielenden Delphinen ergötzten. Die Drude erklärte, dass die Säugetiere von vielen Stämmen als heilig angesehen wurden und dass, was nach Spiel aussah, im Eigentlichen kluger Instinkt war, da das Schiff Fischschwärme aufscheuchte, auf die sie dann Jagd machten.
Die Tage verstrichen. Anders als auf dem Fluss herrschte nun eine striktere Disziplin. Die genau portionierten Mahlzeiten wurden in Schichten gemeinsam eingenommen und jeder hatte bei stärker werdendem Wind einen ihm zugewiesenen Platz einzunehmen. Meist jedoch schien die Sonne. Dann wurden Ausbesserungsarbeiten verrichtet oder auch Sonnenbäder genommen, wie Sedain es so gut wie immer tat. Rhoderik erteilte der Kleinen weiter Lehrstunden. Alle waren guter Dinge, obwohl kaum einer wusste, wo genau die Reise hinging. Und jenen, die es wussten, fehlte die Vorstellung davon, was sie dort erwartete. Nach den Angaben Bretels residierte ein großer Kriegsherr mit dem Namen Siebenstreich in Skaargbrok, am nördlichsten Zipfel des Dänenlandes. Seine nachfolgenden Warnungen hatte der Kapitän mit den Worten »Uns wird schon etwas einfallen« in den Wind geschlagen. Damals war er betrunken und übermütig gewesen, jetzt dachte er gemeinsam mit dem jungen, weißhaarigen Krieger, aus dem er nicht
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