Rabenflüstern (German Edition)
es doch wäre, Orthan bei sich zu haben, aber Siebenstreich hatte schließlich doch, nach weiteren Schreckensmeldungen aus dem bretonischen Reich, eingewilligt, ihn gemeinsam mit den Rittern abziehen zu lassen. »Ich habe sie schon zu lange warten lassen. Außerdem werden wir diese Toren auch ohne Magie schlagen«, hatte der König mit fester Stimme verkündet. Sedain war sich da nicht so sicher.
»Weshalb machen wir es uns eigentlich so schwer?«, fragte er, bäuchlings ein Bein schüttelnd, das ihm eingeschlafen war. »Geh doch einfach hin, Kraeh, fordere den Emporkömmling zum Zweikampf und sie haben keinen Anführer mehr.«
Da mischte sich ein Mann namens Henfir in das nachdenkliche Schweigen der Freunde. Der Halbelf hatte einen Bogenwettschießen ausgerichtet, bei dem der Mann als Sieger hervorgegangen war. Zu seinem Talent als Schützen kam seine Herkunft: Er war in seiner Kindheit, gerade alt genug, ein Schwert zu halten, zum Plündern in einem Drachenboot an jene Küsten gekommen, die er nun geschworen hatte zu verteidigen. Er war der Einzige, der die Sitten und Gebräuche des Feindes kannte, und da sich seine Frau und seine zwei Kinder in einem der Flüchtlingslager befanden, gab es keinen Grund, an seiner Loyalität zu zweifeln. Kurzerhand hatte Kraeh ihn auf den Rat seines Freundes hin zum Hauptmann des kleinsten Regiments in seiner Armee ernannt. Ihm und seinen dreißig Bogenschützen war ein besonderer, außergewöhnlicher Auftrag zugedacht.
Sein junges Gesicht war unter der lockigen Mähne kaum zu erkennen, als er einwandte: »Herr, wenn du jetzt da rausgehst und eine Forderung aussprichst, wird dich die Leibwache Theodulfs niedermachen, bevor du ihn zu Gesicht bekommst.«
Kraeh hatte Probleme, sich den Namen des Bogenschützen zu merken, deshalb vermied er gewöhnlich eine direkte Anrede. Er hüstelte und artikulierte etwas, das wie Hennir klang. »Gibt es keinen Kodex, der ihn zu einer Annahme zwingt?«
»Natürlich. Aber dazu müsstest du ihm Auge in Auge gegenüberstehen. Ansonsten würde er später einfach leugnen, herausgefordert worden zu sein.«
Damit ließen sie diesen Gedanken fallen.
»Gut«, sagte Kraeh, »machen wir die Männer kampfbereit, bestimmt wissen die Nordmänner, dass wir hier sind. Lassen wir sie nicht länger auf das Jenseits warten.«
Rückwärts glitten sie aus ihrem Versteck, vielleicht täuschte er sich ja und sie könnten den Feind entgegen aller Wahrscheinlichkeit doch noch überraschen. Bis zum Abend wollten sie jedoch noch warten. Erst wenn alle Nordmänner gelandet waren, würden sie angreifen, ansonsten würden die verbleibenden Boote vielleicht noch Monde marodierend an den Küsten entlangziehen. Nein, überlegte die Kriegskrähe, in der Dämmerung musste eine eindeutige Entscheidung fallen.
Als sie auf die in einem Talrücken versammelten Streitkräfte zuhielten, wand Kraeh sich noch einmal an den Kommandanten der Bogenschützen.
»Hen… äh.«
»Henfir«, half Sedain ihm aus.
»Genau, bring deine Männer in Stellung. Sobald ihr freie Bahn auf den Prinzen habt, erledigt den Bastard.«
»Was?«, fragten Lou und der Skalde im selben Moment entrüstet.
Die Kriegskrähe und der Halbelf lächelten. »Sein Problem«, sagte Kraeh geringschätzig, »ich hätte ihn auch im Zweikampf getötet.«
Doch es sollte anders kommen.
Leoswan hatte die Mutter des Skalden ihren Sohn genannt. Sie hatte als Freudenmädchen in der bunten Halle gedient. Von wem sie schließlich geschwängert wurde, hatte sie ihrem Jungen nicht sagen können, doch er hatte sich stets einen Helden in strahlender Rüstung vorgestellt. Schon in seiner frühsten Kindheit war ihm klar gewesen, wie wenig er mit jenem imaginären Vorbild gemein hatte. Oft verbrachte er die Tage krank im Bett, während die anderen Kinder Banden gründeten und sich früh im Kampf übten. In seinem siebten Sommer war Heilwig, nach einem Gespräch mit seiner unglücklichen Mutter, an sein Bett getreten, hatte ihm einige Rätsel aufgegeben und durch Fragen seinen Intellekt auf die Probe gestellt. Am Ende jenes lang vergangenen Nachmittags hatte der Kobold eingewilligt, Leoswan zu unterrichten. Nach vielen Jahren emsigen Studierens hatte er seine Begabung entdeckt, wenn schon nicht selbst ein Held zu sein, so doch andere in seinen Geschichten und Liedern unsterblich zu machen. Maßlos enttäuscht von seinem Schutzherrn, sah er nun Kraeh dabei zu, wie er von Einheit zu Einheit ritt, den
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