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Rabenflüstern (German Edition)

Rabenflüstern (German Edition)

Titel: Rabenflüstern (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Philipp Schmidt
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können, so nahe kamen sie. 
    Den Blick auf den Horizont gerichtet, sprach der König: 
    »Heilwig hat mich davor gewarnt, dir das hier zu zeigen.« Gedankenverloren holte Siebenstreich zwei fertig gestopfte Pfeifen aus der Schublade, zündete sie an und reichte eine davon dem Krieger. Der erste Zug brachte ihn zum Husten, den zweiten konnte Kraeh fast schon genießen. Der milde Geschmack einer ihm unbekannten Frucht breitete sich in seinem Mund aus. 
    »War dir im Übrigen bewusst, dass er mein Vater ist?« Er lachte bei dem Gedanken. „Natürlich nicht im leiblichen Sinne.«  
    »Nein«, antwortete der Krieger trocken, um sich sein Erstaunen nicht anmerken zu lassen. 
    »Wie dem auch sei«, fuhr der König fort, »es ist mir wichtig, dich sehen zu lassen, wofür du kämpfst.« Er blies einige Ringe in die Luft. »Was in diesem Raume archiviert ist, sind nicht bloß Buchstaben, Wörter, Tinte auf Papyrus. Was hier bewahrt wird, ist der Geist der alten Zeiten. Die Erinnerung und das Wissen ganzer Epochen der Erkenntnis und Weisheit.« 
    »Ist es dann klug, hier drinnen zu rauchen?«, rutschte es dem Krieger heraus. 
    Siebenstreich ignorierte die Frage. Und sie war ja auch nicht besonders bedacht gewesen. Bestimmt gab es hier Schutzvorrichtungen gegen Brände, vermutlich sogar solche magischer Art. 
    »Was sagt dir der Name Sokrates?«, wollte der Troll stattdessen wissen. 
    »Rein gar nichts«, gestand Kraeh nach kurzem Nachdenken. 
    »Das habe ich befürchtet.« Er hob die Rolle, die er gerade noch beschrieben hatte, hoch und pustete auf die feuchte Tinte. 
    »Ich habe ein Geschenk für dich. Ein Geschenk eines Königs würdig.« 
    Kraehs Blick wanderte zu dem Stein. Doch Siebenstreich schob die Schriftrolle auf die Kante des Tisches vor ihm. »Sokrates’ Apologie«, sagte er großmütig. Der Krieger kniff die Augen zusammen. War das sein Ernst, eine schäbige Pergamentbahn mit Kritzeleien sollte sein Lohn sein? 
    »Ich kann nicht lesen«, erklärte er und versuchte, seine vor Enttäuschung und Wut zitternden Hände zu verbergen. 
    »Dann solltest du es lernen!« Der König war laut geworden, sein Ton schroff. Einige der Lesenden und Schreibenden sahen verstört auf. Er senkte seine Stimme wieder. 
    »Um eines gleich klarzustellen. Dieser Stein hier«, er drehte den Kristall in den knorrigen Fingern, »ist nichts weiter als ein Kiesel, den ich unten in der Bucht fand. Heilwig und Orthan haben ihn etwas ansehnlicher gemacht, aber er hat mit dem Lia Fail, den du suchst, so viel gemein wie eine Eidechse mit einem Drachen.« 
    »Was?!«, entfuhr es Kraeh. 
    Zum wiederholten Mal hoben sich die Köpfe, diesmal schüttelten sie sich wegen der Unflätigkeit des jungen Mannes, dem wohl niemand ordentliche Manieren beigebracht hatte. Ihrem König konnten sie offenbar verzeihen, nicht aber einem dahergelaufenen Krieger. Kraeh spürte anklagende Blicke auf sich. Vermutlich, dachte er grimmig, war diesen Schriftnarren nicht einmal bewusst, wer da gerade von dem Feldzug zurückgekommen war, dessen Ausgang es ihnen erlaubte, immer noch hier in angenehmer Nutzlosigkeit zu sitzen und ihr Schreibwerkzeug anstelle einer Klinge zu führen. Merkwürdigerweise fühlte er sich dennoch ein wenig schuldig und bat daher halbherzig um Verzeihung. 
    Seine Welt war aus den Fugen geraten und er hatte das ungute Gefühl, sich in diesen Wahnsinn einlullen zu lassen. 
    »Nicht der Lia Fail«, überlegte er leise. 
    »Keineswegs«, schmunzelte der König, »aber das bedeutet nicht, wir wüssten nichts über seinen Aufenthaltsort.« 
    Kraeh schöpfte neue Hoffnung. 
    »Eins nach dem anderen, Kriegskrähe«, machte Siebenstreich ihm erneut das Leben schwer. »In deiner Heimat geschehen Dinge, die dich zum Nachdenken bringen sollten. Dein Fürst – im Übrigen ein Zeichen ihrer Ungebildetheit, sonst würden sich die Rheinherren vermutlich Barone nennen – hat allem Anschein nach einen Pakt mit einer dunklen Macht geschlossen. Heikhe erzählte mir von jenen Wesenheiten, die euch angegriffen haben. Lange forschten wir nach, doch es besteht kaum ein Zweifel: Er hat seine Seele einem Dämon namens Ba’al verschrieben. Natürlich kann er das nicht öffentlich werden lassen, so tarnt er seine neue Religion unter dem Eingottglauben, der seit Langem schon an Einfluss gewinnt. Wenn die Menschen mehr über die Geschichte wüssten, wäre es ihnen auch einerlei, ob ihr Herr einem Dämon diente oder jenem alten Gott, der über

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