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Rabenflüstern (German Edition)

Rabenflüstern (German Edition)

Titel: Rabenflüstern (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Philipp Schmidt
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dem Krieger, bei Sinnen zu bleiben. 
    »Wir können dir nicht befehlen und, das kannst du uns glauben, wir geben diesen Rat äußerst ungern. Aber das ist die Botschaft der Göttin: Vernichte das Auge!« 
    Wie bei ihrer letzten Begegnung wird es schwarz um Kraeh. Er fühlt sich, als würde er von einer hohen Klippe in ein bodenloses Nichts fallen, dann schlägt er blinzelnd die Augen auf. 
     
    Es war ein frischer, kühler Morgen. Die Sonne stand wieder in voller Pracht am Himmel und schien durch spärlich bedeckte Baumkronen auf ihn nieder. Die Wunde an seiner Schulter, die er ganz vergessen hatte, spürte er nun wieder heftig. Schlaftrunken stand er auf, bemerkte erleichtert das Gewicht der Klingen, die in ihrer Scheide auf seinem Rücken hingen, ging einige zaghafte Schritte und stellte fest, dass er sich unweit der Stelle befand, wo er den Wald am Tag zuvor betreten hatte. Zumindest hoffte er, dass erst ein Tag vergangen war. Er hatte schon von Menschen gehört, die dachten, sie hätten nur einige Augenblicke in einer Zwischenwelt verbracht, um danach über ihren Bart zu stolpern, der ihnen inzwischen in der tatsächlichen Zeit gewachsen war. Der pochende Schmerz jedoch sprach eine allzu deutliche Sprache, und als er nach weiteren zwei Tagen Skaarbrok auf seinem unterwegs erstandenen, müden Pony erreichte, bestätigte sich diese Hoffnung. Dennoch hatte man sich Sorgen um ihn gemacht. Sedain war sogar ausgeritten, ihn zu suchen. Als sie abends zusammensaßen und Kraeh die Geschichte von dem Bären zum Besten gab, auf den allein er die Verzögerung schob, konnte der Halbelf zum Beweis zwei Fangzähne und das Fell vorzeigen, die er Scharftatze, wie der Pan ihn genannt hatte, abgenommen hatte. Auf die Frage später unter vier Augen, ob auch er den Birkenkreis gefunden habe, starrte Sedain Kraeh nur verständnislos an, drängte seinen Freund jedoch nicht, mehr preiszugeben, als er wollte. 
     
    *** 
     
    Die Stimmung der Kriegskrähe war düster wie der sternenlose Nachthimmel. Seit zwei Monden schon hüllte eine unbeschienene Schneedecke beißend und bedrohlich Skaarbrok ein. Auch die Ältesten in der Feste behaupteten, noch nie einen so kalten und trostlosen Winter erlebt zu haben. Die Boten waren seit den ersten Schneeböen ausgeblieben. Die ganze Welt war wie in tiefem Traum versunken. 
    Kraeh hatte genug Zeit zum Nachdenken gehabt – mehr als genug; sämtliche Bücher hatte er in der Bibliothek durchforscht, ohne jedoch Antworten auf die vielen Fragen zu finden, die ihm unablässig durch den Kopf gingen. Welches Geheimnis verbarg sich wirklich hinter dem Lia Fail? Was beabsichtigte sein Fürst, dem er geschworen hatte, den Stein zu beschaffen? Und auf welcher Seite stand dieser Pan? 
    Viele Nächte lag er wach und starrte schlaflos in die raumlose Finsternis über ihm. Lou hatte das Bett nur noch selten mit ihm geteilt. Irgendwann hatte er sie, aus Stolz und um einen peinlichen Ausgang der Situation zu vermeiden, gebeten, nicht mehr zu ihm zu kommen. Denn es war öffentlich bekannt geworden, dass sie sich mit Sedain traf. Der Halbelf hatte seinen Freund richtig eingeschätzt. Er gab ihnen nicht gerade seinen Segen, missgönnte den beiden ihr Glück aber auch nicht. Nur manchmal, in langen Nächten, in denen alte Geister ihn mit Albträumen plagten, er schweißgebadet aufwachte und danach kein Auge mehr zutun konnte, sehnte er sich nach ihrer Umarmung.  
    In eben solch einer durchwachten Nacht war ihm ein Einfall gekommen. Ihm war klar, er würde keine Ruhe mehr finden, bis er ihn ausführen würde, und so setzte er ihn gleich am nächsten Morgen in die Tat um. Siebenstreich war eindeutig erstaunt über sein Vorhaben, hieß es aber die beste Idee, die er seit Langem gehört hatte. Zwei Tage später saßen alle, denen Kraeh sein Vertrauen schenkte, in einem der vier Türme, die die große Bibliothek umstanden und den er zuvor noch nie betreten hatte. Boden, Wände und Decke im Inneren des höchsten Turmes waren aus grünem Marmor, durch das sich schwarze Adern gleich eingefrorenen Blitzen zogen. Anstatt Fenstern waren weit oben Schlitze in die Wand eingearbeitet, die für einen kühlen Durchzug sorgten, während der Stein auf wundersame Weise gespeicherte Wärme abgab. Beleuchtet wurde der Raum durch eine große achteckige Aussparung in der Mitte der spitz zulaufenden Decke, durch deren grünes Glas mattes Tageslicht fiel. Ebenfalls grün bezogene Sessel standen im Kreis um einen runden, niedrigen Tisch,

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