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Rabenflüstern (German Edition)

Rabenflüstern (German Edition)

Titel: Rabenflüstern (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Philipp Schmidt
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entkommen.  
    Schwer atmend richtete er seinen Oberkörper auf, während der Braunbär mit einem letzten Grunzen sein Leben aushauchte. Wie er so benommen auf dem Boden lag, war Kraehs erster Gedanke, dass der für seine Jagdgeschichten bekannte Berbast ein Narr sein musste, sich absichtlich dergleichen Situationen auszusetzen. Aus einem Stück Stoff, das er sich aus seiner Tunika geschnitten hatte, wickelte er sich einen notdürftigen Verband um die Schulter, die nicht ganz so schlimm verletzt zu sein schien, wie er befürchtet hatte. Das Pferd hingegen bot einen grässlichen Anblick, sein Fell hing in Fetzen und sein einst so stolzer Kopf stand in einem grotesken Winkel vom Hals ab. Er kniete nieder und bedankte sich für seine Dienste. »Mögest du ewig auf immergrünen Weiden grasen«, sagte er traurig über den Verlust, bevor er seine Ausrüstung inspizierte. Der Wasserschlauch war aufgeschlitzt, der köstliche Apfelwein vermengte sich mit einer Lache Blut, die schnell in der Erde versickerte. Auch der Beutel, in dem sich der restliche Proviant befunden hatte, war bei der Attacke beschädigt worden. Kraeh sammelte alles ein, stopfte es in den Beutel und band ihn mit einem Lederriemen zu. Er überlegte, wie er mit dem toten Bären verfahren sollte. Er war zu schwer, um ihn bis nach Skaarbrok oder dem nächsten Ort, wo er vielleicht ein Lasttier borgen konnte, zu tragen.  
    Gerade hatte er sich entschieden, wenigstens das Fell abzuziehen, da sah er ein Geweih auf der anderen Seite des Hohlwegs zwischen den Bäumen hervorlugen. Er war nicht über die Maßen begeistert, schließlich doch noch auf das eigentliche Ziel dieses Ausritts zu treffen. Die Wunde an seiner Schulter brannte wie Feuer und wofür hatte sein Pferd hier das Leben lassen müssen, etwa für einen Hirsch, der nicht aufhörte, ihn dämlich anzuglotzen? Aber da nun einmal alles so gekommen war, fiel ihm nichts Besseres ein, als die eine Böschung hinab, am toten Bär vorbei und auf der anderen Seite wieder, leise vor sich hin fluchend, hinauf zu kraxeln; schnurstracks auf die Stelle zu, an der das Rotwild sich gezeigt hatte. Kraeh war nicht besonders erstaunt darüber, es am gleichen Platz vorzufinden, doch hatte es ihm jetzt den Rücken zugewandt, und in dem Moment, da Kraeh schon widersinnigerweise überlegte, es anzusprechen, sprang es los. Diesmal fluchte er lauter, während er hinter dem Geweih herrannte. Musste er eine Verschnaufpause einlegen, wartete das Tier in sicherem Abstand, um sofort wieder davonzustieben, sobald Kraeh Luft hatte, die eigentümliche Jagd fortzusetzen. 
    Es dunkelte bereits und dem Krieger fiel es immer schwerer, dem Tier zu folgen. Schließlich verlor er es ganz aus den Augen, lehnte sich erschöpft an einen Baum und fragte sich, was er hier eigentlich tat. Einem Hirsch ziellos in die Dunkelheit nachzulaufen, nachdem er gerade am eigenen Leib erfahren durfte, welch böse Gefahren im Wald lauern konnten, erschien ihm nicht gerade geistreich. Am Ende war es gar eine Falle … 
    Im fahlen Licht sah er sich seine Umgebung genauer an. Die bleiche Rinde von Birken schimmerte in einiger Entfernung durchs Geäst. Bedächtig schritt er, einer plötzlichen Intuition folgend, darauf zu. Ein lauter werdendes Plätschern drang an sein Ohr und ein eigentümlicher Geruch stieg ihm in die Nase, der ihn an jene schwarze Traumwolle von Lou erinnerte, die sie aus Haagstadt mitgenommen und seitdem gelegentlich mit ihm geraucht hatte. In völligem Widerspruch zur Jahreszeit sah er bald auch die kleinen roten Blüten, von denen der Geruch ausging und dem er die sanft zunehmende Verwirrung seines Geistes zuschrieb. Erschrocken bemerkte er, wie seine Beine ihn weitertrugen, obwohl er ihnen eigentlich befahl, stehen zu bleiben. Zum Glück gehorchten wenigstens die Arme; die eine der beiden Zwillingsklingen hielt er auf einmal in der Hand, auch wenn er sich nicht im Detail daran erinnern konnte, wie er sie gezogen hatte. Er befand sich inmitten einer Lichtung, die voll von den roten Blumen war. Umstanden wurde das freie Fleckchen Erde von einem Birkenring, der wie ein Schutzkreis hölzerner Wächter wirkte. Kraeh befürchtete allmählich zu wissen, was jetzt geschehen würde. Sein Schwertarm wurde schwer und sank durch die Last gezwungen hinab. War da nicht noch etwas? Richtig. Mit einiger Anstrengung drehte er seinen Kopf in die Richtung, aus der das mittlerweile unangenehm dröhnende Plätschern zu kommen schien. Ein kleines Gewässer, kaum

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