Rabenherz & Elsternseele
stürzte sich auf die Vogelscheuche. Er hing in ihrem schwarzen Mantel, hackte nach dem Vogelkäfig, dann hielt er sich an dem Käfig fest und hackte nach dem Rübenkopf. Die Vogelscheuche begann, sich um sich selbst zu drehen wie eins von diesen kleinen Karussells in der Fußgängerzone, auf denen nur eine Person stehen und sich selbst Schwung geben kann, bis ihr übel wird.
Fupp! Autsch! Hatte mich der Mistkerl doch glatt getroffen und einen Meter durch die Luft geschleudert. Mann, tat das weh. Aber nun bloß nicht nachlassen, es schien ja alles heil geblieben zu sein. Na ja, vielleicht nicht ganz. Die raffiniertesten Flugmanöver würde ich für den Moment lieber vermeiden. Also zurück zu Plan A. Zwischen den Kolbenhieben hindurchwedeln wie beim Slalom und mit ganzer Kraft zurück in das Gesicht von dem Kerl. Bedauerlicherweise hatte er dazugelernt und grapschte sofort mit einer Hand nach mir, ohne den Gewehrknüppel loszulassen. Und ich war wohl doch etwas angeschlagener als ich geglaubt hatte, denn er erwischte mich. Da half nur noch eins. Bevor er mich aus der Nähe seines Ohrs verscheuchen konnte, kreischte ich so markerschütternd, dass ihm hoffentlich das Trommelfell platzte. Mir fiel ein, wie ich im Sommer von Bubo gelernt hatte, »Hol Hilfe« zu sagen. Hilfe. Sehr gut! Ich kreischte wie eine Alarmanlage, flocht gelegentlich ein »Hilfe!« ein und zappelte wie ein Aal. Die Sekunde, die er vor Schreck lockerließ, reichte mir. Aufatmend sauste ich steil gen Himmel. Was war mit dem Kauz und dem Streifenhuhn? Herrjemine, da war es immer noch nicht vorangegangen. Bubo klammerte sich an die Vogelscheuche und schien ihren Rübenkopf mit den Krallen herunterreißen zu wollen, und Jori sah aus, als wäre sie ohnmächtig.
Mein Gegner glaubte wohl, dass er mich losgeworden war, und erinnerte sich daran, was er eigentlich vorgehabt hatte. Mit hocherhobenem Gewehr stürmte er auf Jori los.
Verzweifelt ließ ich mich wieder auf ihn herabfallen. Meine Brust tat inzwischen weh, als wäre sie ein einziger blauer Fleck. Luft zu holen, machte keinen Spaß mehr. Nun schlug ich meine Klauen seitlich in den Hemdkragen und seinen Hals, kreischte direkt in sein Ohr, schrie Hilfe, machte die Polizeisirene und sagte »Ding Dang Dong«, einfach alles, was mir einfiel.
Ein bisschen Zeit konnte ich damit noch gewinnen. Der Irre kam ins Schwanken, blieb stehen, drehte sich um sich selbst und schüttelte den Kopf, doch dann streifte er mich mit einem heftigen Schlag ab, ohne darauf zu achten, wie meine Krallen seinen Hals blutig kratzten. Beinah wäre ich gegen einen Baum geprallt.
Bubo raffte immer noch nichts, sondern stemmte sich nur blöd gegen die Rübe. Und was zum Schneckendreck trieb eigentlich Strix? Wo waren die Hilfskräfte, wenn man sie brauchte?
Mit hämmerndem Herzen und schmerzender Brust stieg ich ein Stück empor und schrie noch einmal gellend »Hilfe!«. Und endlich erschien ein Rettungskommando – wenn auch nicht Strix.
Leander und eine zweite Elster fanden sich an meiner Seite ein. »Jorijorijori«, schrie ich aufgeregt. Als würden die beiden das verstehen! Mit dem Mut der Verzweiflung flog ich voran, wieder auf meinen Gegner los, der Jori fast erreicht hatte. Die zwei machten mit. Und wenn eine Elster allein schon ganz gut darin ist, einen Menschen zu bremsen, dann sind drei unschlagbar. Die fremde Elster nahm sich das Gesicht vor, Leander die Hand mit dem Gewehr, und ich hackte zweimal kräftig ins Fußgelenk, bevor ich zu Jori hüpfte.
Nun konnte ich sehen, dass sich unter ihrem ausgebreiteten Flügel eine Blutlache verbarg. Der Irre hatte sie tatsächlich angeschossen. Schnell flog ich auf und verpasste Bubo einen Schnabelhieb gegen seinen Dummschädel. »Jorijorijori«, schrie ich und hackte gleich noch einmal nach seiner Klaue, mit der er gerade gegen die Rübenkopfgrimasse trat. Endlich dämmerte ihm, dass er nicht das tat, was er tun sollte, doch in seinem typischen Uhutempo dauerte es noch einen Augenblick länger, bis er sich entschließen konnte, sein jetziges Opfer loszulassen.
Mit besorgtem Blick auf Leander, die fremde Elster und den mittlerweile vor Zorn und Schmerz heulenden und laut schimpfenden Gewehrknaller trieb ich Bubo an, und er landete endlich neben Jori.
»Jori!«, sagte ich. »Hilfe!«
Zu unserem Glück begriff sie und hielt still, als Bubo sie so vorsichtig wie möglich mit seinen starken Klauen packte und sich mit ihr auf den Weg machte. Obwohl ich nicht helfen
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