Rabenherz & Elsternseele
Schlüssel drehte sich im Schloss, und wir standen dem schießwütigen Vogelhasser gegenüber. Zum ersten Mal konnte ich ihn nun genau betrachten. Er war um die fünfzig Jahre alt, kaum größer als Strix und hatte ein hageres Gesicht. Um die Glatze auf seinem Hinterkopf trug er einen Ring aus spärlichen grauen Löckchen, was beinah aussah, als hätte er ein Nest auf dem Kopf. Seine hellblauen Augen wirkten ein wenig irre. Das mochte aber daran liegen, dass er am Tag zuvor ein ziemlich irres Erlebnis mit ein paar Vögeln gehabt hatte. Sein Gesicht jedenfalls sah aus wie ein Schlachtfeld. Kreuz und quer verzierten es blutige Kratzer und kleine Wunden.
»Ja?«, fragte er und kniff dabei ruckartig sein linkes Auge zu. Zwinkerte er uns zu? Nein, offenbar war das ein nervöser Tick, denn er tat es gleich noch einmal, obwohl es gar nichts zu zwinkern gab.
Ich räusperte mich und versuchte, mich nicht von seinen Grimassen ablenken zu lassen. »Guten Tag. Wir sind im Auftrag einer Bürgerinitiative unterwegs und würden Ihnen gern ein paar Fragen stellen. Es geht um die Rabenvogelplage. Unsere Eltern und viele andere Leute in der Stadt möchten einen Antrag an den Bürgermeister schicken und die Bejagung der Vögel fordern. Dazu sollen wir eine Umfrage machen. Dürfen wir einen Moment hereinkommen? Es dauert nicht lange.«
Der Ansatz war goldrichtig. Piepkos irre Augen leuchteten auf. »Rabenvogelplage? Oh ja, dazu kann ich so einiges erzählen. Je eher die Biester ausgerottet werden, desto besser.«
Er bat uns nicht herein, öffnete aber die Tür weiter und trat zur Seite. Wir folgten ihm in ein typisches Fernseh-Wohnzimmer und von dort weiter in ein Esszimmer mit einer Fensterwand samt Glastür zur Terrasse und zum Garten. Piepkos letzte Mahlzeit musste Fisch gewesen sein, es roch überall danach.
Er bot uns mit einer Geste Stühle an und setzte sich. »Gerade gestern haben die kleinen Bestien mich angegriffen. Die hatten Tollwut oder so was.«
Er zwinkerte wie verrückt und machte mich damit noch kribbeliger als ich es ohnehin schon war.
Strix wirkte bewundernswert ruhig. »Sie haben Sie angegriffen? Wirklich? Wie kam denn das?«
Bevor der widerliche Herr Piepko antworten konnte, mischte ich mich ein. »Das würde mich auch sehr interessieren. Aber entschuldigen Sie bitte, dürfte ich kurz Ihre Toilette benutzen? Wir sind schon so lange unterwegs und …«
Mit einem missmutigen Grunzen erhob er sich und führte mich zur Gästetoilette. Kleines Fenster zur Straße, Gitterstäbe mit großen Abständen – perfekt. Ich öffnete es und klemmte noch eine neue Klopapierrolle in den Rahmen, damit es nicht zufallen konnte. Eine Hand streckte ich durch das Gitter und winkte den Straßenbäumen zu. Dann zog ich leise den Schlüssel aus dem Türschloss und steckte ihn von außen hinein. Den Haustürschlüssel nahm ich an mich. Nach einigen Sekunden kam ein Habicht aus der Gästetoilette gewandert, dann ein Uhu. Beide begleiteten mich ins Wohnzimmer, aus dem die Stimmen von Piepko dem Irren und Strix zu hören waren.
Jori und Bubo nahmen auf der Sofalehne Platz, nachdem Jori das Sitzpolster mit einem großen Klecks verschönert hatte. Sie musste die Zähne zusammenbeißen, um mit ihrer Verletzung fliegen zu können, und war stinkwütend auf Piepko. Schäckäck , dachte ich, doch zum Grinsen war ich zu aufgeregt. Bisher lief alles nach Plan. Meine nächste Aufgabe war es, dafür zu sorgen, dass der zwinkernde Nestschädel sein Gewehr nicht in die Finger bekam. Ich hatte es schon entdeckt. Es stand neben einem Geschirrschrank an die Wand gelehnt, griffbereit für schnelle Ausflüge auf die Terrasse.
»… tauchen noch zwei räudige Elstern auf und …«, erzählte Piepko gerade. Unauffällig schlenderte ich zu dem Gewehr und stellte mich davor.
»Sie hätten nicht auf den Habicht schießen dürfen«, sagte ich.
»Krähen zu töten ist ebenfalls verboten«, fügte Strix hinzu.
»Kein Wunder, dass die Elstern Sie angegriffen haben. Vor ein paar Tagen haben Sie mit Ihrer idiotischen Herumballerei eine von ihnen in Lebensgefahr gebracht.«
Piepko sah uns verdutzt an. Nun kniff er mit jedem Zwinkern irgendwie sein ganzes Gesicht zusammen. »Was soll das denn jetzt? Wenn ihr mir so kommt, könnt ihr sofort gehen. Ich weiß, was richtig ist. Richtig ist, die Raubvogelbrut von hier zu vertreiben. Die Mistviecher gehören nicht dahin, wo Menschen leben. Sollen doch zurück in den Wald verschwinden.«
Im Garten stand die
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