Rabenmond - Der magische Bund
jetzt schlafen, ich werde wach bleiben.«
Baltibb lehnte den Kopf gegen die Mauer und zog Mond auf ihren Schoß. Sie war todmüde. Aber schlafen konnte diese Nacht keiner von ihnen.
Der Plan, in die Stadt zu gelangen, stellte sich als undurchführbar heraus. Am nächsten Morgen holte sie ein Verbündeter ab und leitete sie durch die finsteren Gassenlabyrinthe der Ruinen, bis sie ein zerfallenes Haus erreichten, in dem eine versteckte Bodenklappe in einen Keller führte. Die Rebellen aus Albathuris und ihre Anhänger waren bereits versammelt, aber auch Unbekannte drängten sich in den Fackelschein, die Baltibb nie gesehen hatte. An einer Seite des niedrigen Raumes lag ein Stapel Bretter, auf den eine Frau in einem langen Umhang stieg. Das Gemurmel erstarb. Die Frau schob ihre Kapuze zurück, und Baltibb erkannte an dem perlenbesetzten Kragen ihres Kleides, dass es sich um ein Mitglied der Gilden handeln musste.
»Seid gegrüßt, Brüder und Schwestern«, sagte sie, fand Nethustra in der Menge und verneigte sich. »Willkommen in Wynter, ehrenwerter Nethustra. Auch deine Gefolgsleute heiße ich willkommen. Leider kann ich euch nicht in die Stadt bringen. Die Tore werden schärfer bewacht denn je, unsere Gildenringe können gegen das Misstrauen der Sphinxe nichts mehr ausrichten. Im Gegenteil. Selbst wenn ich alleine das Tor passiere, durchsuchen sie meine Sachen. Aber seid unbesorgt! Die Bürger der Stadt und die Gilden sind auf eurer Seite. Wir warten nur darauf, dass die Ruinenleute rebellieren und die Stadt stürmen, dann schließen wir uns an.«
»Feiglinge!«, rief jemand, aus der Dunkelheit erntete er grimmige Zustimmung. »Über die Leichen der Mutigen ins Ziel laufen, das sieht den Gilden ähnlich!«
Die Frau wurde kreidebleich.
»Beruhigt euch, Freunde!«, rief Nethustra. »Hier in den Ruinen sind wir ohnehin sicherer als in der Stadt. Gassen und Häuser entstehen und verschwinden über Nacht, die Drachen kennen sich nicht aus, es gibt genug Verstecke für uns. Und hier sind die Menschen, die uns am meisten brauchen. Die Menschen, die mehr als alle Bürger bereit sind zu kämpfen. Lasst den Krieg gegen die Drachen nicht zu einem Krieg zwischen Bürgern und Ruinenleuten werden!«
»Er hat recht«, meldete sich ein Rebell. »Bis zur Wintersonnenwende müssen die Ruinenleute an unserer Seite sein und die Stadt stürmen, dann schließen sich die Bürger und Gildenleute an und wir erobern den Palast!«
Schweigend verfolgte Baltibb die Diskussion. Es wunderte sie nicht, dass die Bürger es den Ruinenleuten überließen, die Revolution zu machen. Je mehr die Menschen zu verlieren hatten, umso geringer war ihr Mut.
»Schürt den Zorn der Ruinenleute«, rief die Gildenfrau, »und die Bürger werden euch die Tore öffnen. Aber in diesem Kampf brauchen wir Soldaten. Und die werdet ihr hier leichter finden als in den Straßen der Stadt, wo die Sphinxe wachen.«
Nethustra nickte. »Seid bereit für uns, wenn wir die Stadt stürmen. In der Nacht der Wintersonnenwende werden die Drachen fallen. Diese Nacht oder nie!«
So begann ihr Kreuzzug in den Gassen der Ruinen.
Die Redner von Albathuris zogen die Ärmsten der Armen an und riefen zum Kampf auf. Danach wurden Waffen verteilt: Die Schwerter, Lanzen, Bogen und Pfeile der Rebellen reichten lange nicht aus, darum gab man Pflastersteine, Glasscherben, Holzpflöcke - alles, was im Gefecht verwendet werden konnte. Männer, Frauen und Kinder zogen so bewaffnet durch die Gassen, riefen: »Freiheit! Wahrheit!«, und brachen in Häuser ein, um Äxte, Messer, Dolche, ja jeden Gegenstand, der scharf und spitz war, zu beschlagnahmen. Baltibb und die anderen begleiteten oft die Horden, um sicherzugehen, dass ihnen niemand Widerstand leistete. Hin und wieder weigerte ein Holzfäller sich, seine Axt herzugeben, aber die Revolutionäre ließen sich nicht vom Starrsinn der Ängstlichen aufhalten.
Die Protestmärsche lösten sich erst auf, wenn jemand »Sphinxe!« schrie. Der Ruf erreichte sie zumeist von fünf Straßen weiter und wurde von Fenster zu Fenster gerufen, sodass die Rebellen flüchten konnten, ehe die Löwenrudel erschienen. Selbst die, die sich nicht trauten, mit den Banden durch die Straßen zu ziehen, kamen den Aufständischen im Notfall zu Hilfe. Türen öffneten sich, sobald ein Flüchtling vorbeilief, und Hände zogen ihn in schmale Verstecke. Die Ruinen hatten sich in einen Wald voller Schlupflöcher für die Menschen und ein undurchdringliches
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