Rabenmond - Der magische Bund
den Ruinen sind.«
Nethustra nickte. »Ich nehme dein Angebot gerne an. Aber wir brauchen Unterschlupf für alle. Also, fünf Mann suchen leere Ruinen. Hängt zum Zeichen ein rotes Tuch an die Mauer.«
Sofort meldeten sich fünf Freiwillige und liefen zur Stadt. Der Rest der Gruppe wartete auf die Nacht.
Die Sonne verschwand hinter den westlichen Wäldern, ihr Licht erlosch in kaltem Violett. Schnee rieselte aus den Baumkronen. Baltibb schloss die Augen. Nun begriff sie, warum Lyrian ihr damals nicht verraten hatte, was beim Ritual der Wintersonnenwende geschah. Sie versuchte, sich vorzustellen, wie er seine Tiere opferte - die Tiere, die er so innig gepflegt hatte und zu denen er nicht minder zärtlich gewesen war als zu ihr... Wenn er seine Tiere für die Drachen hatte opfern können, wenn er sie im Stich gelassen hatte, wieso dann nicht auch das Gildenmädchen? Was war so besonders an ihr ? Sie biss die Zähne zusammen. Natürlich wusste sie schon, dass es an ihrer Schönheit lag. Nur daran. Er war so dumm, so dumm …
»Nun ist es dunkel genug«, sagte Sethur, und Baltibb öffnete die Augen. Im Leuchten der abertausend Stadtlichter verblassten Mond und Sterne, sodass Wynter in der weiten Finsternis zu schweben schien wie eine Lichtinsel.
»Sind alle bereit?«, fragte Nethustra. Waffen wurden gezogen, Kapuzen aufgesetzt, die Tiere bei den Zügeln genommen. »Dann los, Freunde!«
Sie verließen den schützenden Wald. Baltibb lief hinter dem Wagen, auf dem Nethustra saß, bereit, anzuschieben, falls ein Rad stecken blieb. Ihre Füße versanken bis zu den Knöcheln im Schnee. Die Tiere schnaubten, Peitschen knallten. Baltibb konnte kaum den Umriss ihres Vordermanns ausmachen. Nur die Stadt war zu sehen, gigantisch und blendend wie das Hirngespinst eines Ertrinkenden. Für einen Moment kam es Baltibb wie Wahnsinn vor, dass sie alle darauf zuliefen. Der Wagen vor ihr holperte, die Schneebüffel schnaubten. Baltibb hatte sofort das Rad gepackt und stemmte es mithilfe der anderen aus dem Schnee. Im nächsten Moment rannten sie weiter. Metall klirrte. Trotz der Kälte brach ihr der Schweiß aus. Nun kamen die zerfallenen Hütten der Ruinen immer näher. Baltibb sah bereits ein rotes Stoffstück, das unter einer Fackel festgeklemmt war, und hier noch eins, und dort in der Ferne ein drittes …
Ein Schatten fegte über sie hinweg. Schon sprang einer der Krieger auf den Wagen und riss sein Schwert durch die Luft. Ein entsetzliches Kreischen war zu hören - das Kreischen eines Raben. Federn segelten durch die Luft.
»Weiter!«, brüllte jemand. Sie rannten das letzte Stück. Der Vogel schoss krächzend über sie hinweg, sein Lärm schien die ganze Stadt zu wecken. Nun war es eine Frage von Minuten, bis die Sphinxe kamen.
»Aufteilen!«, rief Sethur. Im nächsten Moment strömten die Krieger auseinander. Baltibb blieb hinter Nethustras Wagen. Aus den Augenwinkeln sah sie, wie die anderen Rebellen in Häuser liefen und die roten Tücher von der Wand rissen. Wagen, die nicht in die Ruinen passten, wurden umgekippt und mit Schnee bedeckt.
»Hier!«
Baltibb sah nicht, wer sie führte, doch dann hatten sie ein großes, dunkles Haus erreicht, das wie eine Scheune aussah. Sobald der Wagen mit den Waffen hineingerollt war, wurden die Brettertüren zugeschoben und Steinbrocken davorgeworfen.
»Sind alle da?«, flüsterte jemand.
»Still jetzt.«
Baltibb fand im Halbdunkel die Schneebüffel und streichelte ihnen besänftigend die Stirn. Als sie ruhig dastanden, ging sie in die Knie und legte einen Arm um Mond. Klopfenden Herzens lauschten sie in die Nacht hinaus.
In der Nähe waren Stimmen, jemand hustete, ein Säugling schrie. Dann verstummten alle Geräusche abrupt - nur das Baby war noch zu hören. Schritte im Schnee. Rasche, leichte, viele Schritte.
Durch die Ritzen in der Steinmauer fielen Schatten. Das Knurren der Löwen zitterte in der Luft, Baltibb spürte beinahe die Hitze ihres Atems. Einer der Schneebüffel warf nervös den Kopf zurück, das Geschirr klirrte - Baltibb glaubte zu sterben vor Schreck. Sekundenlang erwartete sie, dass die Brettertüren eingetreten wurden und ein Dutzend Sphinxe über sie herfiel. Der Griff des Schwertes lag rutschig in ihrer Faust. Doch nichts geschah.
Sie harrten fast eine halbe Stunde unbewegt in der Dunkelheit aus, bis Nethustra schließlich flüsterte: »Heute Nacht bleiben wir hier. Morgen kommen unsere Freunde aus den Gilden und helfen uns in die Stadt. Wer müde ist, kann
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