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Rabenschwärze: Das Mädchen aus Istland (German Edition)

Rabenschwärze: Das Mädchen aus Istland (German Edition)

Titel: Rabenschwärze: Das Mädchen aus Istland (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Markus Kammer
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abzureißen und auf allen Vieren ein Stück fortzukriechen, zwischen die Beine von Kämpfenden, wo sie sich prompt einen unbeabsichtigten Kinnhaken einfing. Sie sah kurz leuchtende Punkte vor den Augen, dann wurde ihre Sicht wieder klarer. Unterdessen schubste und schob man sie in die eine, zerrte an ihr in die andere Richtung. Die Zwischenraumfesseln oder das, was noch davon übrig war, wurden dabei zertreten, zerrieben und verstreut. Schließlich landete Elsa mit vielen blauen Flecken im Lager der Rabendiener, wo man ihr, kaum dass sie es begriffen hatte, ein Tuch auf die Nase drückte, das sie sehr schnell ins dumpfe Reich der Empfindungslosigkeit schickte.

KAPITEL 13
     
    Es war fast still, als sie wieder zu sich kam. Sie lag zugedeckt in einem Zimmer, in dem immer wieder Sonnenlichter aufflackerten, ganz weich und flüchtig. Ein bläulicher Schimmer lag auf den weißen Wänden, es roch nach Salz und Sand. Eine Stimme sang in der Ferne eine Melodie, die nie fertig wurde, weil sie jedes Mal zerfloss, bevor sie einen Sinn ergab. Elsa kannte das. Nur die Ganduup in Holandas Kloster sangen so.
    Wenn sie sich aufrichtete, konnte sie aus dem Fenster sehen. Draußen glitzerte das Meer. Die Ganduup-Boote glitten über die Wellen und zogen ihre durchsichtigen Netze hinter sich her. Am Ufer sah sie eine Terrasse, auf der eine Ganduup-Dienerin Wäsche aufhängte. Elsa fasste sich an den Hals. Kein Reif. Sie fragte sich, warum Gaiuper auf diese Sicherheitsvorkehrung verzichtet hatte. Sie könnte nun einfach fortfliegen. So lange, bis er sie wieder einfing. Nur die Müdigkeit und das schöne Licht auf dem Wasser hielten sie im Moment davon ab. Möglich, dass das Zimmer sowieso bewacht wurde. Weit käme sie nicht, aber müsste sie es nicht wenigstens versuchen?
    In diesem Moment ging die Tür auf und Gaiuper trat ein. Ein großer, hagerer, schwarz gekleideter Mann. Die roten Vogelaugen waren leicht entzündet und von dunklen Ringen umgeben. Er schlief schlecht, offensichtlich. Seine Fingernägel waren länger und spitzer denn je, gekrümmt wie Vogelkrallen.
    „ Ich stutze sie nicht mehr“, erklärte Gaiuper, der ihren Blick bemerkt hatte. „Du weißt, dass ich Vogelblut in mir habe?“
    „ Oh“, sagte sie. „Ich weiß nicht. Ich dachte es mir …“
    „ Es kommt nicht häufig vor. Die meisten Kinder meiner Art sterben.“
    Elsa saß aufrecht im Bett und lehnte sich nun, langsam ausatmend, an die Wand in ihrem Rücken. Etwas an Gaiuper war ganz anders als sonst. Gerade fürchtete sie sich nicht vor ihm.
    „ Wer war der andere?“, fragte er und setzte sich auf den einzigen Stuhl, der im Zimmer stand, gleich am Fenster.
    „ Wer? Was meinst du?“
    „ Der andere. Du weißt schon, derjenige, der dich die ganze Zeit unserem Zugriff entzogen hat.“
    Elsa tat, als würde sie nicht verstehen. Sie runzelte die Stirn.
    „ Ein Rabe, zweifellos“, sagte Gaiuper. „Gewandter als du. Ich habe Mittel, die Wahrheit aus dir herauszuquetschen, aber im Moment ist mir nicht danach. Dieses lästige Geschöpf, das wir aus dem Käfig befreit haben, nimmt mich zu sehr in Anspruch. Willst du sie sehen?“
    Es war ein Trick, doch Elsa konnte nicht widerstehen.
    „ Du hast sie befreit? Morawena?“
    „ Ich weiß nicht, ob sie es als Befreiung empfindet. Wir konnten sie am Ende doch noch zwingen, wieder ein Mensch zu werden.“
    „ Es wäre schön, wenn ich sie sehen könnte“, sagte Elsa.
    „ Ich werde es einrichten. Vorher muss ich Holandas Erlaubnis einholen.“
    „ Sie bestimmt, was du darfst und was nicht?“
    Gaiuper lächelte milde.
    „ Wir brauchen einander.“
    „ Du hast mir keinen Reif umgelegt“, sagte Elsa und zog die Decke näher zu sich heran.
    Gaiuper nickte.
    „ Du weißt ja inzwischen, wie man ihn entfernt. Außerdem bist du ein vernünftiges Mädchen. Dir ist klar, dass du gerade großes Glück hast, weil ich dich nicht bestrafe. Noch nicht. Wir haben zwar Bulgokar verloren, aber unsere fähigsten Folterknechte, die haben wir noch. Solltest du mich also noch einmal ärgern …“
    Jetzt war es an Elsa zu nicken. Teggas Gefängnisse wollte sie bestimmt nicht von innen kennenlernen. Trotzdem hatte sie das Gefühl, das ihr Gaiuper – im Moment zumindest – keinen Schaden zufügen wollte. Was wiederum bedeutete, dass er sie brauchte. Wofür wohl?
    „ Erzähl mir von Morawena“, sagte Elsa. „Wie ist sie so?“
    „ Sie ist ein echter Rabe mit einem unerschütterlichen Willen“, antwortete Gaiuper. „Kein

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