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Rabenschwärze: Das Mädchen aus Istland (German Edition)

Rabenschwärze: Das Mädchen aus Istland (German Edition)

Titel: Rabenschwärze: Das Mädchen aus Istland (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Markus Kammer
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nicht mehr aufhörte, war ein Zeichen dafür, dass die Feinde nah waren.
    „ Wie tarne ich mich?“, fragte Elsa, als sie auf einem glitschigen Waldpfad wanderten, immer wieder große Pfützen umrundeten und mit ständiger Dämmerung zu kämpfen hatten.
    „ Warum willst du das noch lernen?“, sagte er. „Hat doch sowieso keinen Sinn.“
    „ Ich würde es aber gerne wissen. Sag es mir doch!“
    Nikodemia blieb stehen. Im Laufen zu reden, war zu gefährlich. Wie wenig ihm diese Unterbrechung passte, war ihm deutlich anzuhören.
    „ Du musst so tun, als wärst du kein Rabe. Lebe, handle, denke wie ein ganz normaler Mensch. Verwandle dich nicht, wechsle keine Welten. In jeder Situation.“
    „ Aber ich dachte mal, ich wäre ganz normal. Damals in Istland. Trotzdem konnte ich nicht verhindern, dass das passiert, was passiert ist. Ich wurde ein Vogel, ohne es zu merken!“
    „ Jetzt würdest du es merken und jetzt wüsstest du, dass du aufpassen musst. Ich meine nicht: so tun, als ob du normal wärst. Du musst alles aufgeben, so als hättest du es gar nicht.“
    „ Das hast du immer gemacht? Du hast dich nie verwandelt, seit du in Brisa bist?“
    „ Carlos hat mir beigebracht, dass ich nur so überleben kann. Das einzige, was ich mir erlaubt habe, waren Ausflüge in den Zwischenraum. Aber darin bin ich sehr gut, im Gegensatz zu dir. Ich habe die Möwen von weitem gehört und immer dafür gesorgt, dass sie mich nicht bemerken.“
    „ Du hättest für den Rest deines Lebens …“
    „ Nein“, sagte Nikodemia ärgerlich, „ich habe nur gewartet. Ich habe auf jemanden wie Ulissa gewartet. Dann hätte ich es mit allen aufgenommen. Aber sie ist ja nicht mehr da und jetzt weiß ich auch nicht mehr, was ich will. Können wir jetzt weitergehen?“
    Er wartete keine Antwort ab, sondern setzte seinen Weg fort, wobei er sich auf den glatten, schmierigen Untergrund konzentrierte. Elsa war müde und achtete mehr auf Nikodemia als auf sich selbst und so kam es, dass sie viele Schritte später in eine Pfütze trat und keinen Halt fand. Sie rutschte tiefer. Und tiefer.
    „ Niko … Niko, ich versinke!“, rief sie, hörte aber, dass ihre Stimme nicht lauter war als ein Flüstern.
    Sie kämpfte still vor sich hin und sah, dass Nikodemia im Regen verschwand. Es war eine seltsame Situation, wie im Traum. Sie konnte nicht rufen und sie konnte ihre Arme und Beine nur ganz langsam bewegen, so sehr sie sich auch anstrengte. Wenn sie nicht immer tiefer gesunken wäre und bald bis zur Hüfte im Schlamm gesteckt hätte, wäre sie vielleicht auch gar nicht besorgt gewesen.
    Dann hörte sie Stimmen in ihrem einen Ohr, diffuse Stimmen, es war mehr ein Klang. Sie konnte von dem Stimmengewirr nichts verstehen. Doch ihr Verstand deutete die Situation auf einmal ganz nüchtern: Die Stimmen stammten von Möwen und die Pfütze führte geradewegs in ein Tor zwischen den Welten. Nur so konnte es sein. Was an ihr zerrte, war kein Morast oder Schlamm, sondern die Möwen, die sie erwischt und ihre unsichtbaren Fäden um Elsas Fuß gewickelt hatten.
    Sie hörte auf zu strampeln, überhaupt sich zu bewegen. Nun wurde sie noch tiefer in das Schlammloch hineingezogen, das keines war. Gleichzeitig überlegte sie, was mit ihr passieren würde. Wenn es Sistras Möwen waren, würde sie in einen Käfig gesteckt werden. Wenn es Egas Möwen waren, würde man sie dem Verfahren der Ausgleicher übergeben. Gefängnis für ewig oder sterben für immer – das waren die Aussichten. Noch einmal stemmte sie sich dem Sog entgegen. Doch sie konnte ihn nur verlangsamen, nicht aufhalten. Sie krallte ihre Hände in den Schlamm, rutschte ab und schlug mit dem Gesicht in den Matsch. Nun schnappte sie nach Luft. Feuchte Erde quoll ihr in den Mund, Schlamm steckte in ihren Nasenlöchern. Mittlerweile steckte sie bis zum Hals in der Pfütze.
    Sie legte den Kopf in den Nacken, um noch einmal in den Himmel zu sehen, auch wenn es ein verregneter, unechter Himmel war. Da sah sie schemenhaft Gestalten um sich herumstehen. Sie waren verschwommen und hatten keine Gesichter. Ungefähr so hatte sich Elsa immer Gespenster vorgestellt, als sie noch klein war. Jetzt bekam sie keine Gänsehaut oder dergleichen, sondern beobachtete nur erstaunt, was sich über ihrem Kopf abspielte. Die Schatten beugten sich zu ihr nieder, ergriffen sie unter den Schultern und zogen. All das taten sie in vollkommener Stille. Sie keuchten nicht einmal. Elsa hörte nur den Regen, wie er in die Pfützen

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