Rabenschwärze: Das Mädchen aus Istland (German Edition)
Reif und kein Schmerz können sie brechen.“
„ Ah, ich verstehe. Sie ist anders als ich.“
„ Sie ist das Gegenteil von dir. Wir können sie nur überzeugen, nicht zwingen. Doch ich glaube, sie ist bald soweit.“
„ Was wird dann aus mir?“
„ Warte es ab“, sagte er und warf ihr einen verschwörerischen Blick zu.
„ Sag es mir – wofür brauchst du mich?“
Er blieb ihr die Antwort schuldig, stand auf und ging. Im Zimmer war es heller, als er fort war. Elsa atmete auf. Trotz allem, was bisher geschehen war, war sie erleichtert. Es war immer beruhigend, wenn niemand sie töten wollte. Zumindest vorerst nicht.
Zwei sonnenklare Tage später löste Gaiuper sein Versprechen ein. Morawena lag in einem Zimmer weit oben im Kloster, fast in der Spitze. Am Bett der Kranken saßen zwei Ganduup-Dienerinnen, die ihr regelmäßig die Stirn abtupften, frisches Wasser brachten, ihre Kissen aufschüttelten. Morawena sah aus wie eine Tote. Ihre Haut war weiß bis auf die Sommersprossen und sie ähnelte Sistra, nur sah sie jünger, zeitloser und zerbrechlicher aus. Ihr Haar floss in brennenden Locken vom Kissen über das Bett auf den Fußboden. Sie war geistesabwesend, doch Gaiuper erklärte, sie wache manchmal auf und spreche. Die besten Ärzte Ganduups streichelten ihre Seele, überredeten sie zu bleiben. Niemand drohte ihr.
„ Siehst du, wie ihre Augen zittern?“, fragte Gaiuper. „Sie hört uns. Sie versucht uns zu verstehen.“
„ Warum ist sie so schwach?“
Elsa setzte sich auf den Stuhl einer Dienerin, die hinausgegangen war.
„ Elf Jahre nicht fliegen, obwohl man Flügel hat“, sagte Gaiuper, „das ist nicht gesund.“
„ Seit wann ist sie wieder ein Mensch?“
„ Seit drei Wochen. Seit deiner Flucht.“
„ Drei Wochen ist das her? War ich so lange im Zwischenraum?“
„ Dein Freund hat sich gut gehalten. Aber er konnte deine Schwäche nicht ausgleichen.“
Elsa schwieg und betrachtete Morawena. Ein Mensch, der friedlich schläft, sah anders aus. Sie hatte die Lippen aufeinander gepresst und die Hände gefaltet, so fest, dass die Fingerknöchel ganz weiß waren.
„ Diese hier“, fuhr Gaiuper fort. „war vor deiner Zeit eine besondere Person. Es ist ihr jahrelang gelungen, den Rabendienern verborgen zu bleiben. Das ist beachtlich. Sie hat einen starken Willen und ist zu Opfern bereit.“
„ Was geschieht, wenn sie wieder ganz gesund ist?“
Gaiuper lächelte. „Dann ist deine Frist um.“
Hoppier hatte die Rabendiener verlassen. Er war davongeschlichen, während der Schlacht um Hagl. Gaiuper behauptete, er habe Hoppier nicht verfolgt. Elsa hoffte, dass er die Wahrheit sagte. Sinhine war noch da. Als Elsa nach ihr fragte, ließ sie ausrichten, dass sie Elsa nicht sehen wolle. Das veranlasste Elsa zu einer weiteren Runde um das weiße Kloster, ein Weg, den sie jeden Tag viele Male zurücklegte. Sie sah auf das Meer hinaus und versuchte sich vorzustellen, wie es sein würde, wenn Gaiuper sie doch noch aus dem Weg räumte, plötzlich und ohne Vorwarnung. Doch sie konnte es nicht. Nicht bei diesem Licht, diesem klaren Himmel und der Milde rundherum.
Da Elsa Morawena nicht mehr besuchen durfte, lauschte sie. Sie hörte den Ganduup bei ihren Flüstereien zu, suchte eine Terrasse auf, die unter Morawenas liegen musste, trat Gaiuper in den Weg, um etwas herauszukriegen. Was sie erfuhr, war das: Morawena wollte nicht gesund werden und wenn sie mal bei Bewusstsein war, antwortete sie nicht auf Gaiupers Fragen. Unterdessen suchten Späher nach Nikodemia. Elsa hoffte, dass er entkommen konnte. Anders durfte es nicht sein.
Die Ausweglosigkeit ihrer Lage machte Elsa furchtlos. Sie hielt sich in Fluren auf, die ihr verboten waren, sprach Ganduuphäupter an, denen man eigentlich nur mit Schweigen begegnen durfte. Sie ging unerlaubt schwimmen, befreite Fische aus Ganduup-Netzen und fragte Gaiuper, ob er sich womöglich für sein Vogelblut schäme. Er ließ sie gewähren.
„ Stell nur Fragen, auf die du keine Antwort bekommst, wenn dich das aufmuntert.“
„ Was machst du, wenn dich Morawena nicht leiden kann?“
„ Als ob es bei den großen Dingen darum geht, ob man sich leiden kann.“
„ Sie könnte ihren starken Willen dazu benutzen, euch alle zu ärgern, dann habt ihr sie umsonst befreit.“
„ Im Gegensatz zu dir ist sie klug und lässt sich nicht von Gefühlen leiten. Sonst hätte sie ihren Geliebten am Leben gelassen.“
„ Welchen Geliebten?“
„ König Gerard von
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