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Rabenschwärze: Das Mädchen aus Istland (German Edition)

Rabenschwärze: Das Mädchen aus Istland (German Edition)

Titel: Rabenschwärze: Das Mädchen aus Istland (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Markus Kammer
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kleine Geschöpfe aus dem Wasser geklettert kamen, die weder Schnecken noch Krebse waren, doch eine Schleimspur hinterließen und mit etwas klapperten, das nach messerscharfen Scheren aussah.
    „ Wie gebe ich mir Mühe?“, fragte Elsa. „Es muss doch einen Trick geben, wie man einen Blick hinter diese Erscheinungen werfen kann!“
    „ Vielleicht, indem du nicht so genau hinsiehst. Mach die Augen halb zu und hör auf dein Gefühl. Vor allem aber auf mich! Wenn du in ein Loch fällst, dann komme ich womöglich auf die Idee, dir zu helfen, und das könnte mein Ende sein.“
    „ Wieso? Was passiert, wenn man in ein Loch fällt?“
    „ Ungefähr das, was einem Sterblichen passiert, wenn er von einer Lawine verschüttet wird, danach in einen reißenden Strom fällt, einen Wasserfall hinabgespült und in einer heißen Quelle wieder ausgespuckt wird. Die Wahrscheinlichkeit es zu überleben, ist gering.“
    „ Wir sind aber keine Sterblichen.“
    „ Nein, wir dürfen dann wieder von vorne anfangen. Aber ich darf nichts vergessen, meine Erinnerungen sind das Wichtigste, was ich besitze.“
    „ Schreib sie doch auf.“
    „ Gute Idee. Was hast du eigentlich mit dem Buch gemacht, das ich dir gegeben habe?“
    „ Was?“, fragte Elsa, ertappt.
    „ Du hast es nicht mehr?“
    Sie schüttelte schuldbewusst den Kopf. Er nickte, als hätte er nichts anderes erwartet. Als sie ihren Weg fortsetzten, ohne Boot, da die Seen ausgetrocknet waren, suchte Elsa Schritt für Schritt nach der Wirklichkeit des Zwischenraums, die man nicht sehen konnte. Der Erfolg war spärlich, aber immerhin: Sie vermutete ein Loch, wo Nikodemia vor einem Abgrund warnte, und sie vernahm ein Kitzeln im Ohr, als Nikodemia ein Netz von Möwen-Spähern ausfindig machte.
    „ Mach weiter so“, sagte er, nachdem sie ein Schneefeld durchquert hatten, um sich in Sicherheit zu bringen. „In hundert Jahren weißt du Bescheid.“
     
    Die Sonne ging auf und unter, es gab Regen, Wolken und Gewitter, ganz wie in der Wirklichkeit. Elsa zählte die Zeitspannen zwischen ihren Schlafpausen als Tage. Sieben davon vergingen auf die gleiche Weise wie der erste. Sie bewegten sich in einer Landschaft fort, die sich stetig veränderte. Machten Pausen, in denen Nikodemia von damals erzählte, von den Altjas und ihren Zieheltern, die sehr gütig gewesen waren und die er manchmal vermisste. Seine Erzählungen führten nicht dazu, dass Elsa Heimweh bekam nach diesem unbekannten Ort. Nikodemia schien es Angais auch nicht übel zu nehmen, dass sie die unsichtbare Grenze überschritten hatte.
    Einigkeit herrschte bei ihnen darüber, dass sie wohl kaum füreinander bestimmt waren. Zwar gab es da ein paar Gemeinsamkeiten. Sie waren beide Raben, hatten die gleiche Vergangenheit und ein ähnliches Alter. Sie waren Verbündete, aber es war nicht unbedingt so, dass sich der eine an der Gesellschaft des anderen ergötzte. Mehrmals am Tag brachen kleine Streitereien aus, weil er sie herumkommandierte oder sie ihn zu früh geweckt hatte oder er ihr keine Pause gestattete oder sie seine Nerven strapazierte, indem sie immer wieder Fragen stellte, wenn er keine Lust hatte zu reden. Aber das waren Kleinigkeiten. Nach allem, was Elsa erlebt hatte, seit sie Istland verlassen hatte, zählte Nikodemia fast als Freund. Ja, er war ein Freund, zumal er nicht hätte tun müssen, was er gerade tat. Er sagte, die Rabendiener seien ihnen auf den Fersen. Sie griffen in den Zwischenraum ein. Er hatte das Gefühl, dass sie die Landschaft gegen Nikodemias Willen veränderten. Er sah es am Himmel und den Bäumen. Sie sah nichts. Aber wenn er es sagte, dann war es wohl so.
    Einmal flatterte ein blutroter Schmetterling über Elsas Weg. Erst war sie entzückt, dann hörte sie ein Brummen in ihrem Kopf, das immer lauter wurde. Als der Schmetterling auf ihre Nase zuflog und der Brummton unerträglich wurde, schnappte sie den Schmetterling und zerdrückte ihn mit der Faust. Das Brummen verstummte.
    „ Das hättest du nicht tun sollen“, sagte Nikodemia. „Das haben sie gemerkt. Du hättest so tun müssen, als wäre er nicht da.“
    „ Aber er war so laut!“ Sie öffnete ihre Faust und die Hand war leer.
    „ Er wäre wieder weggeflogen.“
    „ Woher soll ich das wissen?“
    „ Jetzt weißt du es.“
    Es begann zu regnen, tagelang. Der Regen zwang Elsa, die Augen zuzukneifen. Mal war er kalt und beißend, dann kitzelte er oder lief ihr in Bächen in den Kragen. Nikodemia war unzufrieden. Der Regen, der gar

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