Rabenschwärze: Das Mädchen aus Istland (German Edition)
es zum Schlimmsten kommt. Sie wird freudig deine Hand halten, während du stirbst, um sich an deinem allerletzten Atemzug zu ergötzen!“
Diese Auskunft versetzte Elsa in Panik. Sie hielt ihr Licht fest, das genauso zitterte wie ihre Hände, und wagte nicht daran zu denken, wie es wäre, wenn es tatsächlich so käme.
„ Aber …“, begann sie und verstummte. Sie konnte keinen klaren Gedanken fassen.
„ Ich wollte dich nicht vollkommen verschrecken“, sagte Anbar versöhnlich. „Aber so ist es nun mal. Bevor du aus diesem Haus türmst, nur weil du mich nicht leiden kannst oder mir nicht traust, solltest du wissen, was dich dort draußen erwartet.“
Elsa atmete weit schneller als noch vor wenigen Minuten. Sie wollte sich beruhigen, aber immer noch galoppierte ihr Herz. Sie wollte nicht für immer sterben und schon gar nicht in Egas Nähe.
„ Es ist dir gelungen“, sagte sie. „Ich bin kleinlaut und eingeschüchtert und werde keinen Fuß vor die Tür setzen. Aber was ich nicht verstehe … warst du nicht ursprünglich für das Verfahren?“
„ Ich konnte mich noch nie damit anfreunden. Obwohl es eine Erfindung der Vernunft ist. Überleg dir, wie viele Menschen verletzt oder getötet wurden, weil Gaiuper und die Ganduup meinten, sie müssten mit dir in den Krieg ziehen: Tausende und noch mal Tausende. Die haben wir jetzt beide auf dem Gewissen, du und ich. Ich noch mehr als du, denn ich hätte es ganz einfach verhindern können. Ein Leben gegen Tausende Leben, wie kann man da zögern?“
„ Du hast gezögert.“
„ Ja, glücklicherweise. Ich habe es nie bereut. Wenn Antolia anfängt, unschuldige Wesen zu töten, verrät es seine Ideale. Ganz gleich, wie erhaben die Beweggründe für einen solchen Mord sein mögen, er ist falsch und führt zum Niedergang unserer Kultur. Das Morden müssen wir den Bösen überlassen, auch wenn die Folgen schrecklich sind. Also denk nicht, dass ich so scharf darauf wäre, die Nacht mit dir in dieser Hütte zu verbringen. Ich will nur das rein halten, wofür ich lebe und woran ich glaube. Wenn Antolia schlecht wird, wird alles schlecht.“
Elsa starrte verzweifelt auf ihr Licht. Es wurde immer schwächer, dabei war es doch das einzige, woran sie sich festhalten konnte. Mit den Augen und mit allem anderen.
„ Was ist mit ihm?“, fragte sie. „Es leuchtet nicht mehr!“
„ Der Stein ist nicht warm genug“, sagte Anbar. „Nimm ihn in beide Handflächen und drück ihn, dann lädt er sich wieder auf und leuchtet so hell wie vorher.“
Elsa tat es und ihr Herz wurde wesentlich leichter, als hellgelbe Strahlen von Licht durch ihre Finger sprangen.
„ Du kannst ihn behalten, wenn du möchtest“, sagte er. „Aber zeig ihn niemandem. Er stammt aus den Hochwelten und ich dürfte ihn überhaupt nicht mitbringen.“
„ Du meinst, die Möwen und deine Antolianer kriegen mich nicht? Obwohl ich bei Tagesanbruch am Tor sein muss, um das Buch zu übergeben?“
„ Am Tor? Ausgerechnet am Tor? Das ist der dämlichste Treffpunkt, den man sich ausdenken kann!“
„ Kann ich was dafür? Immer heißt es: Du tust jetzt dieses, du tust jetzt jenes, sonst knallt es, und wenn es ein blödsinniger Befehl ist, dann muss ich mich auch noch dafür rechtfertigen! Gaiuper hat mir nicht gerade seine Telefonnummer aufgedrängt, damit wir uns verabreden können!“
Anbars Gesichtszüge entspannten sich. Fast lachte er.
„ Macht man das so in Istland? Wie nett. Eine typische Sackgassentechnik, dieses Herumhängen an zwei Hörern.“
„ Sackgassentechnik? Mein Vater wäre beleidigt. Er hatte das erste Telefon im Dorf.“
„ Er wird sich hoffentlich daran erfreuen, bis er alt und taub ist. Wann musst du am Tor sein? Bei Sonnenaufgang?“
„ Ja. Gaiuper schickt einen Boten.“
„ Dann ist es gut, dass Egas Möwen nicht wissen, dass du hier bist. Sie vermuten dich im Schloss und werden nicht damit rechnen, dass du in den Zerfurchten Wiesen auftauchst, denn das wäre ja alles andere als klug …“
„ Ich werde es Gaiuper ausrichten.“
„ … aber das ist wiederum unser Vorteil.“
Er verschwand in einer dunklen Ecke, um gleich darauf mit zwei Decken zurückzukehren.
„ Nimm die und versuch da drüben auf der Bank zu schlafen. Ich achte darauf, dass wir keinen Besuch bekommen, und wecke dich rechtzeitig, wenn du schläfst.“
„ Ich kann nicht schlafen!“, sagte sie. „Ganz bestimmt nicht.“
Aber sie nahm die Decken, bastelte sich daraus ein Kissen und machte sich auf
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