Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Rabenschwärze: Das Mädchen aus Istland (German Edition)

Rabenschwärze: Das Mädchen aus Istland (German Edition)

Titel: Rabenschwärze: Das Mädchen aus Istland (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Markus Kammer
Vom Netzwerk:
Insofern bin ich beruhigt. Ja, ich bin wirklich klüger als vorher. Antolia werden diese Offenbarungen auch sehr interessieren. Das hast du gut gemacht.“
    „ Ich habe gar nichts gemacht“, sagte Elsa. „Wann gehen wir? Die Sonne geht unter.“
    „ Bist du denn gar nicht neugierig?“, fragte er. „Auf das, was er unbedingt wissen wollte? Auf die Antwort, die es nur in der Alten Welt gibt?“
    „ Nein“, sagte Elsa. „Ein Stück Kirschkuchen in der Küche meiner Mutter wäre mir lieber.“
    „ Dann ist es das“, sagte er nachdenklich. „Wenn du genügend Kirschkuchen hättest und alles andere, was das Leben behaglich macht, dann würdest du dich quälen und fragen, wozu es dich gibt. Morawena muss es so gegangen sein. Ihr stand jede erdenkliche Sorte von Kirschkuchen zur Verfügung, aber sie war nicht glücklich.“
    Er stand auf.
    „ Wir treffen uns in ungefähr einer Stunde. Du fliegst zu einem von drei Häusern, die auf einer fast kreisrunden Waldlichtung in der Nähe der Zerfurchten Wiesen stehen. Nur eins der Häuser hat noch ein Dach – dort wartest du. Es sind die einzigen Häuser im Wald. Glaubst du, du findest sie?“
    Elsa nickte. Aus der Luft waren die Häuser sicher gut zu sehen.
    „ Hör mir gut zu: Du darfst keine Umwege fliegen. Du musst unbedingt zwischen dem Schloss und den Häusern bleiben. Alles, was darüber hinausgeht, ist gefährlich! Vor allem, wenn du dich verwandelst. Hast du das verstanden?“
    „ Ja. Keine Umwege.“
    „ Dann gib mir jetzt das Buch.“
    Die Sonne verschwand gerade hinter den Bergen. Sie gab ihm ‚Bolhins Reisen’. Es fiel ihr erstaunlich leicht. Er verabschiedete sich und dann ging er, das begehrte Buch in der Hand. Im Zimmer wurde es nun dunkel und langsam kalt. Elsa trank noch den letzten Saft aus dem Krug und aß ein halbes Brota. Sie wusste ja nicht, wann sie wieder etwas zu essen bekommen würde. Ein bisschen Zeit blieb ihr noch, sie wollte nicht zu früh am Treffpunkt erscheinen. Während sie wartete, saß sie am Fenster und überlegte, ob sie tatsächlich keine Antwort suchte. Keine Antwort auf „die Frage, die sie war“, wie der Dichter es ausgedrückt hatte. Sehnsucht verspürte sie schon. Aber nicht nach Wissen oder Erkenntnis, sondern nach einem Zustand, der alle Fragen überflüssig machte. Was spielte es für eine Rolle, wer man war oder warum es einen gab, wenn man glücklich war? Manchmal erahnte sie das Glück. Dann lag es einfach auf der Fensterbank, für einen kleinen, kurzen Moment. Aber sie konnte es nicht nehmen und festhalten. Sie musste es über die Fensterbank tanzen lassen und merken, dass es da war. Genauso musste sie es ziehen lassen, wenn es verschwinden wollte. Elsa spürte, dass es gerade verschwand. Sie selbst würde dafür sorgen, dass es sie verließ, indem sie Sommerhalt Lebewohl sagte. Sie hatte keine andere Wahl.
    Sie stand auf und holte die Schildkrötendose aus dem Regal. Als sie den Deckel öffnete, sah sie die weiße Feder darin im Halbdunkel schimmern. Sie hatte keine Ahnung, warum Angais die Feder aufgehoben und aufbewahrt hatte. Aber das kleine, weiße Ding hatte lange genug im kalten Metall gelegen. Elsa nahm die Feder und ließ sie aus dem Fenster fliegen. Wie das Glück flog sie fort und verschwand in der Dunkelheit. Elsa wusste, dass ihre Zeit gekommen war. Sie nahm sich ein Herz, breitete ihre eigenen Flügel aus und flog hinterher.
     
    Schwarz waren die Häuser im Schatten des Waldes, als sich Elsa auf der Wiese niederließ. Während sie sich zurückverwandelte, warf sie aufmerksame Blicke in den Zwischenraum. Sie konnte keine Spuren von Möwen entdecken oder von den gruseligen Fäden, mit denen sie einen Raben einwickeln und binden konnten. Das beruhigte sie. Das Haus, das noch ein Dach hatte, war das kleinste der drei. Die Tür stand offen, doch im Innern brannte kein Licht. Elsa horchte hinein, es schien leer zu sein. Sie wartete im dunkelsten Schatten seitlich der Hauswand, bis sie Anbars Umriss zwischen den anderen beiden Häusern entdeckte. Es schien kein Mond an diesem Abend, doch im schwachen Licht der Sterne erkannte sie sein helles Haar. Er gab ihr das Buch, als er bei ihr ankam, und sie nahm es erleichtert entgegen. Soweit hatte also alles geklappt.
    „ Ein Möwenposten steht am Weg zum Schloss“, sagte er. „Zwei andere umkreisen das Tor in großem Abstand. Wenn wir an denen vorbei sind, können wir uns am Tor ungestört umschauen. Es sei denn, du trittst aus Versehen in die

Weitere Kostenlose Bücher