Rabenschwärze: Das Mädchen aus Istland (German Edition)
Doch, aber du bist nicht Gaiuper.“
„ Was, wenn es gefährlich ist? Soll ich es Nada geben, ohne zu überprüfen, ob es eine Falle ist?“
„ Das ist eine Ausrede.“
„ Ja, und es ist eine so gute Ausrede, dass ich mich gar nicht trauen würde, etwas anderes zu tun, als hineinzuschauen, auch wenn ich nicht neugierig wäre. Darf ich jetzt?“
Sie war auch neugierig. Sie hielt das Licht über das Kästchen und sah zu, wie er etwas herausholte, das in einen samtigen Stoff eingewickelt war. Als er es auswickelte, kam eine Brosche zum Vorschein. Eine schlichte Brosche, geformt wie ein Blatt und besetzt mit einem einzigen roten Stein. Elsa war nicht weiter beeindruckt, im Gegensatz zu Anbar.
„ Das ist ein Wunder!“, sagte er, nachdem er die Brosche eine ganze Weile schweigend angestarrt hatte.
„ Warum?“
„ Nada hat sie ihr mal geschenkt. Da waren sie beide noch sehr jung. Gerard und Morawena waren noch kein Paar.“
„ Ich wusste gar nicht, dass Morawena und Gerard ein richtiges Paar waren.“
„ Ein paar Jahre lang. Nada musste sich damit begnügen, ihr bester Freund zu sein.“
„ Warum ist es ein Wunder?“, fragte sie.
„ Du weißt, wie das mit Raben ist“, antwortete er. „Wenn sie sich in Tiere verwandeln, haben sie keine Schmuckstücke mehr bei sich. Wenn sie sich dann zurückverwandeln, tragen und besitzen sie nur das, was eine unbewusste Macht in ihrem Inneren für überlebenswichtig hält. Vor allem nach einer so langen Zeit der Gefangenschaft.“
Elsa warf noch einmal einen sorgfältigen Blick auf die Brosche.
„ Das heißt, dass ihr diese Brosche wirklich viel bedeutet? Wenn sie sie immer noch hat? Nach so langer Zeit im Käfig?“
„ Ja. Die Brosche und die Erinnerungen, die damit verbunden sind.“
„ Aber er war nur ihr bester Freund.“
Anbar wickelte die Brosche wieder ein und legte sie zurück ins Kästchen.
„ Es genügt, wenn er sie morgen früh bekommt“, sagte er. „Wenn er Amandis dann immer noch heiraten möchte und Amandis bis dahin nicht Romer verfallen ist, dann sollen sie es meinetwegen tun.“
„ Sehr großzügig von dir. Aber du willst nicht hierbleiben? Bis morgen?“
„ Doch, genau das hatte ich vor. Ich mache mir einige Sorgen um dich und deswegen ist es mir lieber so.“
„ Aber ich sorge mich weit weniger, wenn du weg bist!“
„ Darauf kann ich keine Rücksicht nehmen“, sagte er und stellte das Kästchen auf die nächste Fensterbank.
„ Wenn du hierbleibst, dann gehe ich!“
„ Das würde ich an deiner Stelle nicht tun!“
Elsa war das nicht geheuer. Das Haus bestand nur aus einem einzigen Zimmer mit vielen dunklen Ecken. Es war zu eng und zu düster, um es mit einem Menschen zu teilen, dem man nicht vertraute. Am wenigsten gefiel Elsa, dass Anbars Stimme so einen gefährlichen Unterton bekommen hatte.
„ Ich werde den Eindruck nicht los, dass du mir drohst“, sagte sie. „Als würde mir etwas Schreckliches passieren, wenn ich nicht tue, was du sagst.“
„ Genauso ist es“, sagte er. „Aber nicht ich bin es, der dir dann etwas Schreckliches antut, sondern die anderen. Damit du mich nicht falsch verstehst: Sollte es jemandem gelingen, dir den Kopf abzuschlagen oder den Hals umzudrehen, dann werde ich das verkraften. Es würde mein Leben sogar vereinfachen. Aber ich will nicht, dass du in Antolia endest, als erstes Opfer des Verfahrens. Das ist es, was ich verhindern will!“
„ Nett von dir. Aber das kann ich auch selbst verhindern.“
„ Nein, das kannst du womöglich nicht“, sagte er, „und halte mich nicht für nett, es geht mir dabei hauptsächlich um Antolia. Eine Kultur, die sich für weise und gerecht hält, darf das Verfahren niemals anwenden. Dass diese Methode der Vernichtung eine Erfindung der Hochwelten ist, ist schon schlimm genug.“
„ Du meinst, wenn ich aus dieser Türe gehe, dann ist alles zu spät?“
„ Hör mir gut zu!“, sagte er und sie hörte gut zu, weil er gerade so ärgerlich war. „Heute Nacht werden die Hochwelten beschließen, dass du nicht mehr existieren solltest. Denn die Mehrheit der Ausgleicher ist dieser Meinung, daran bestand heute Morgen kein Zweifel mehr. Sie werden sich außerdem darauf verständigen, dass sie die Hilfe der Möwen annehmen werden, wenn sie ihnen angeboten wird. Damit rechnen Egas Möwen. Sie hocken schon da draußen und können es gar nicht abwarten, dich einzufangen und abzuliefern. Verlass dich darauf, dass Ega nicht von deiner Seite weichen wird, wenn
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