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Rabenschwärze: Das Mädchen aus Istland (German Edition)

Rabenschwärze: Das Mädchen aus Istland (German Edition)

Titel: Rabenschwärze: Das Mädchen aus Istland (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Markus Kammer
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tot und Antur musste sich seither bemüht haben, das Rabenmädchen, das Ulissas Gesicht getragen hatte, unter seinen Einfluss zu bringen. Was auch immer er mit ihr vorgehabt hatte, er hatte zu lange gewartet.
    „ Am Ende gewinnt der Mutige“, sagte Gaiuper.
    „ Du wirst das Tor nicht erreichen“, erwiderte Antur.
    „ Und wenn doch?“, fragte Gaiuper.
    Nada hatte aufgehört, den Antolianer anzustarren. Stattdessen blickte er vor sich auf den Tisch, über die kalte Suppe hinweg. Er schien enttäuscht zu sein und hoffnungslos. Ein trauriger Riese, der an nichts mehr glaubte.
    „ Wenn doch“, sagte Antur mit einer Stimme, die viel zu milde klang für diesen Anlass, „dann wünsche ich euch beiden viel Vergnügen.“
    Gaiupers Zeitpunkt war gekommen. Er sammelte sich kurz und stellte die kleine, grüne Flasche, die er immer noch in der Hand gehalten hatte, auf den Tisch. Im nächsten Augenblick, bevor sich ihm auch nur irgendjemand oder irgendetwas in den Weg stellen konnte, schoss er in Gestalt eines fliegenden, panzerhäutigen Reptils durch das Fenster in Nadas Rücken, dessen hölzerne Verstrebungen und kleine Scheiben in tausend Stücke zersprangen.

KAPITEL 24
     
    Elsa spürte nicht mehr viel. Mit jeder Stunde, die sie im Inneren Gaiupers steckte, verlor ihr Verstand an Schärfe und ihre Wahrnehmung an Kraft. Sie vernahm seine Gedanken, sie konnte mit seinen Augen sehen. Doch alles rückte immer weiter fort von ihr. Vielleicht war das gut so. Sonst hätte Gaiuper womöglich bemerkt, dass ihr Torben Anturs Enkel nicht gleichgültig war. Fasziniert betrachtete sie ihn mit Gaiupers Augen, verwirrt durch Gaiupers Gedanken, die gar nicht zu ihren eigenen passten. Ihr fiel auf, dass Anbar sehr ernst aussah. Sie kannte ihn ärgerlich oder angriffslustig, in Gedanken vertieft oder spöttisch. Keine dieser Stimmungen traf heute auf ihn zu, er befand sich in einem geradezu stimmungsfreien Zustand. Das lag sicher daran, dass er mit dem Schlimmsten rechnete, und das ließ nun mal keinen Platz für persönliche Launen. Seine Augen, die an diesem Tag fast dunkelgrau aussahen, schätzten nüchtern das Ausmaß der Katastrophe ab.
    All das glaubte Elsa zu erkennen, schließlich war er ihr doch sehr vertraut, zumindest bildete sie sich das ein. Vom ersten Augenblick an, als dieser von ihr sehr geschätzte Blondschopf in Gaiupers Blickfeld getreten war, hatte sie Freude empfunden – eine unsinnige Reaktion, denn schließlich war sie kaum noch vorhanden und er saß in einer tödlichen Falle, ebenso wie Nada und Morawena. All das war nur ihrem Versagen zuzuschreiben und somit ihre Schuld. Doch sie konnte nicht an das finstere Ende denken, sondern nur wie gebannt ihr Gegenüber beobachten. Er hatte sich kaum verändert in dem einen Jahr. Es war wohl ihrem Zustand zuzuschreiben oder den vielen Gedanken, die sie in letzter Zeit an ihn verschwendet hatte, dass sie nun hoffte, er würde sie hinter Gaiupers Augen suchen und finden. So forschend war sein Blick, dass es durchaus möglich sein konnte. Andererseits besaß Anbar keine übersinnlichen Fähigkeiten. Der Blick eines Menschen reichte nur bis zu Gaiupers hoher Stirn und den roten Vogelaugen. Danach war Schluss. Man musste schon ein zerpflückter Rabe sein, um dieses vernagelte Wesen von innen betrachten zu können.
    Sie erschrak, als Tegga auf ihn losgehen wollte, und sie staunte, als Nada sich unmittelbar vor Anbar schob, um ihn zu schützen. Anbar war nicht gerade klein (sicher gab es in allen Hochwelten keinen einzigen kleinen Antolianer), doch Nada überragte ihn um einen Kopf, von der mächtigen Leibesfülle ganz zu schweigen, die Tegga unweigerlich bremste. Was folgte, versetzte Elsa in die merkwürdigste Stimmung.
    Da war Gaiuper, der sich über Anbar so seine Gedanken machte, ihn gar zu Ulissas Komplizen erklärte. Gegenüber, am Tisch sitzend, versank König Nada mehr und mehr in Verzweiflung. Erst blickte er ungläubig oder entsetzt an Anbar empor, dann wurde sein Blick immer leerer. Einmal beugte er sich vor, um Morawena sehen zu können, die auf zwei Stühlen lag wie eine Tote, mit weit aufgerissenen Augen, die ab und zu zuckten. Hier traten dem König die Tränen in die Augen. Er wandte sich ab, senkte die Augenlider und seine riesigen Hände, die auf dem Tisch lagen, erschlafften.
    Und Anbar – er log Gaiuper an. Er wollte Gaiuper in den Tod schicken, warum sonst stachelte er ihn dazu an, Feuersand zu durchqueren, um das Tor zu erreichen? Er wusste genauso gut

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