Rabenschwärze: Das Mädchen aus Istland (German Edition)
solltet euch kennenlernen.“
Elsa fühlte sich betrogen. Da hatte sie ein Jahr lang gehorcht und alles getan, was man von ihr verlangt hatte. Tag für Tag, Stunde um Stunde, in der Hoffnung, dass sie eines Tages fliehen könnte, nach Hause, nach Istland. Und nun erfuhr sie, dass die Diener ihre Spur verfolgen konnten. Wenn sie nach Istland floh, würden sie es entdecken und heimsuchen. Es war zwar schwer vorstellbar, wie Rabenkrieger über Elsas Dorf herfielen und alles zerstörten. Aber sie würden es tun und niemanden am Leben lassen, daran bestand kein Zweifel. Was bedeutete, dass es für Elsa keinen Heimweg mehr geben konnte. Er war weg und all ihre Hoffnungen begraben und gestorben. Sie wollte es gar nicht glauben, so trostlos war das. Aber Gaiuper saß da und redete davon, dass sie einen anderen Raben kennenlernen sollte. Darauf konnte er lange warten.
„ Hol dir deinen Vogel alleine, mich interessiert er nicht!“
„ Es ist nicht der Rabe, der aus dir spricht, sondern der Trotz eines kleinen Mädchens“, sagte Gaiuper.
„ Na, und?“, fragte Elsa.
„ Du solltest dieser Schwäche nicht nachgeben, sondern dich auf deinen Weg besinnen. Nur deine Bestimmung kann dir Frieden und Klarheit verschaffen.“
„ Verschaff dir selbst Frieden, ich brauche ihn nicht. Bring mich um, reiß mir den Kopf ab, lass mich von deinen Schlägern zerstückeln, wenn es dir Spaß macht, aber ich werde nicht nach Brisa gehen und Sistra Reling ermorden.“
„ Dann bist du freundlicher zu Sistra Reling als sie es zu dir wäre. Keinen Augenblick würde sie zögern, dich in einen Käfig zu sperren und zu Tode zu quälen!“
Elsa wusste, dass das stimmte. Die ganze Zeit hatte sie aufrecht im Bett gesessen, um Gaiuper die Stirn bieten zu können. Jetzt überwältigte sie die Schwäche ihres Körpers. Sie sank in die Kissen zurück oder wollte es tun, doch der plötzliche Schmerz in ihrem Rücken veranlasste sie, sich herumzuwerfen und auf den Bauch zu legen.
„ Ist mir egal“, sagte sie. „Geh weg und lass mich in Ruhe!“
Gaiuper schlug nun einen weichen, verständnisvollen Ton an.
„ Was du wirklich willst, meine Liebe, von ganzem Herzen und mit deiner göttlichen Seele, das sollst du haben! Aber dein wahrer Wille hat nichts mit diesem Gejammer gemein, das außer dir und mir glücklicherweise niemand hören kann. Tegga hätte keine Geduld mit dir, das weißt du. Aber ich habe in meinem Leben schon viele Rückschläge erlebt. Ich weiß, wie einen das menschliche Leid ganz plötzlich einholen und vom Weg abbringen kann. Das geht vorüber, glaub mir!“
Elsa konnte sich der Wärme und Freundlichkeit, die in diesen Worten mitschwang, kaum entziehen. Dass jemand es gut mit ihr meinen könnte, war verlockend. Wenn sie nur tat, was er von ihr verlangte, wenn sie einsetzte, was sie gelernt hatte, dann könnte sie diese hoffnungslose Situation ins Gegenteil verkehren: Sie würde mächtig werden und groß, sie könnte wachsen und wachsen, bis sie den Himmel ausfüllte. Niemand würde sie mehr unterdrücken oder quälen, niemand ihr die Freiheit wegnehmen!
Sie spürte, wie ihr Gesicht glühte. Vielleicht hatte sie Fieber. Vielleicht wollte sie aber auch keine Entscheidung treffen, sondern einfach nur benommen sein. Sie dachte an Amandis und Resi, an Milch und Kekse und den schönen Garten der Relings.
„ Der Vogel soll bleiben, wo er ist.“
„ Nein, wir brauchen ihn“, widersprach Gaiuper. „Durch diesen Angriff verschaffen wir uns einen großen Vorteil. Du vergisst, dass wir einen langen Weg vor uns haben. Wir müssen Kundrien finden. Alles, was die Möwen über diesen Ort wissen, dürfte auch Morawena bekannt sein, denn sie ist als Möwe aufgewachsen. Wollen wir den Schlüssel zum Tor Kundriens finden, sind wir auf ihre Kenntnisse angewiesen.“
„ Ich brauche keinen Schlüssel.“
„ Das kannst du nicht beurteilen“, sagte er. „Überlass solche Entscheidungen mir.“
„ Außerdem will ich keine Möwen töten. Ich will auch nicht, dass es jemand anders tut. Ich will überhaupt keinen Krieg.“
„ Von diesen Gefühlen musst du dich lossagen. Du wirst den Himmel nicht erreichen, wenn du deinem Mitleid nachgibst.“
„ Du kannst sagen, was du willst – ich werde meinem Mitleid nachgeben.“
„ Wie du meinst“, sagte er. „Dann muss ich leider dafür sorgen, dass du deinem Mitleid auf eine Weise nachgibst, die unserer großen Aufgabe nicht im Wege steht. Wen soll ich opfern, damit du tust, was du zu tun
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