Rabenschwärze: Das Mädchen aus Istland (German Edition)
ihr keinen Spaß. So war es nun mal.
Sie war auch eine lausige Kämpferin. Vor allem dann, wenn es darum ging, ihr Schwert oder eine andere Waffe gegen einen echten Feind zu erheben. Die Schläger konnten es ihr nicht abgewöhnen, im entscheidenden Moment zu zögern oder gar kraftlos die Waffe fallen zu lassen. Gaiuper zeigte für diese Schwäche Verständnis.
„ Es liegt unter deiner Würde, Waffen zu benutzen. Trotzdem wirst du es immer wieder tun müssen. Vergiss nicht, dass ein ganzes Heer für dich einsteht. Wenn du es schaffst, dich mit uns zu verbinden, brauchst du nur noch die Hand zu erheben, um deinen Feind zu töten. Vielleicht genügt sogar ein einziger schwarzer Gedanke. Waffen sind Hilfsmittel. Deine wahre Größe kommt ohne sie aus!“
Elsa schwieg. Sie hatte ein anderes Bild von ihrer wahren Größe. Sie fand, diese entspräche höchstens der eines Kindes, das sich nicht zu helfen wusste. Selbst der neunjährige Hoppier kam ihr stärker und entschlossener vor.
„ Wusstest du, dass meine Blicke töten können?“, fragte sie ihn an diesem Abend, als er den Tee für die Nacht aufs Zimmer brachte.
„ Du kannst schon wütend aussehen“, sagte Hoppier und hockte sich auf ihre Kleidertruhe am Ende des Bettes. „Ich will nicht dein Feind sein.“
„ Wütend bin ich meistens auf mich selbst.“
„ Wenn deine Blicke wirklich töten können, dann solltest du nie in den Spiegel schauen“, sagte der kleine Hoppier.
Elsa lachte.
„ Das ist eine gute Idee! Wenn ich lange genug in den Spiegel schaue, kann ich die Welten vielleicht von mir erlösen.“
„ Nein, tu das nicht“, sagte Hoppier. „Sonst komme ich nicht ins Paradies.“
„ Du hast eine komische Vorstellung vom Paradies“, sagte Elsa. „Meine Eltern haben mir etwas anderes beigebracht. In ihr Paradies kommen nur die lieben und guten Menschen.“
„ Deine Eltern wussten ja auch nicht, dass du ein Rabe bist.“
„ Trotzdem mochte ich ihr Paradies ganz gern.“
„ Warst du denn immer lieb und gut?“, fragte Hoppier. „Wärst du in ihr Paradies gekommen?“
„ Ich weiß nicht. Kann schon sein. Böse genug für die Hölle war ich jedenfalls nie.“
„ Könnte aber auch anders sein“, sagte Hoppier. „Ich glaube, die Hölle ist hinter dir her. Wenn du nicht schnell genug nach Kundrien kommst, kriegt sie dich!“
Elsa nickte. Da hatte Hoppier wahrscheinlich recht.
Als der Sommer in den Herbst überging, verloren die blattlosen Bäume Bulgokars keine Blätter. Die sengende Hitze verschwand schlagartig und machte kalten Sturmböen Platz. Elsa überlegte, was ihre Eltern wohl dachten, wenn sie an ihrem vierzehnten Geburtstag verschwunden blieb. Sie hatte keine Ahnung, ob der Tag schon stattgefunden hatte, denn in Bulgokar war der Kalender ganz anders als in Istland und auch die Jahreszeiten stimmten nicht überein. Es war ja auch nicht wichtig. Trotzdem ließ sie der istländische Herbst nicht los: Das nasse Gras und der Duft von feuchtem Moos, die klamme Wäsche, die an istländischen Herbsttagen einfach nicht trocknen wollte. Sie dachte an die Feuer in den Gärten, wenn die Leute ihre Gartenabfälle verbrannten. Dann wurde es früh dunkel, doch die kleinen Feuer glühten und rauchten und tauchten das Dorf in Schwaden verbrannter Zeit. Elsas Sehnsucht danach war riesengroß. Sie hätte sich von diesem Gefühl lossagen können, hielt aber daran fest. Verbrannte Blätter erschienen ihr so viel schöner als ein leerer, schwarzer Himmel, der nur ihr allein gehörte.
In dieser Zeit geschah es, dass Gaiuper seiner Rabenherrin einen Vertrag auf den Tisch legte. Es war Abend und sie saßen ausnahmsweise im großen Festsaal, in dem Ulissa ermordet worden war. Elsa hatte sich schon darüber gewundert, was der Anlass für diese Feierlichkeit war, doch jetzt wusste sie es. Sie starrte den Vertrag an, den sie unterschreiben sollte. Der Vertrag war in Nundume geschrieben und als Elsa ihn durchlas, fand sie ihn lächerlich. Es war typisch für die Rabendiener, dass sie ihre Verträge so pathetisch formulierten. Aber letztlich war es ihr egal, sie nahm das Gerede sowieso nicht ernst. Daher tunkte sie die Feder ein und kritzelte ihren Namen auf das Pergament. Der Text des Vertrages lautete folgendermaßen:
„ Ich bin der Rabe, der Rabe ist alles und nichts soll außer mir sein. Ich verspreche, dass ich jeden Feind des Raben und meiner Diener töten werde, denn mein Herz liegt in Kundrien vergraben und kennt keine Liebe. Ich werde
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