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Rabenschwärze - Der Grubenmann (German Edition)

Rabenschwärze - Der Grubenmann (German Edition)

Titel: Rabenschwärze - Der Grubenmann (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Markus Kammer
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meine?“
    Agnes schüttelte den Kopf.
    „Es ist so, mein Kind: Die Welten, alle Welten, werden plötzlich aufhören. Es wird deine Schuld sein. Ich sehe es. Ausgleicher werden dich jagen, Möwen werden dich in einen Käfig sperren, Rabendiener werden dich quälen. All das führt zum Weltuntergang.“
    Agnes schaute ihn groß an.
    „Die Zukunft, die wir Altjas erblicken“, fuhr der Mann fort, „die ist nicht wandelbar. Es sei denn, man wendet drastische Mittel an. Der Tod der Personen, die darin vorkommen, das ist eine gute Methode, die Zukunft zu verändern. In diesem, in deinem Fall sehe ich nur eine Möglichkeit, das Ende der Welten zu verhindern. Du musst sterben und vergessen. Dann können all die furchtbaren Dinge, die ich gesehen habe, nicht passieren.“
    Agnes wusste, dass sie jetzt ängstlich und verschreckt hätte sein müssen. Sie war es aber gar nicht. Sie hatte schon so viele Ängste ausgestanden in den letzten Wochen, dass sie nun keinen großen Unterschied feststellte. Außerdem hatte sie sich längst mit ihrem Tod angefreundet. Was der Altja von ihr verlangte, war nichts anderes als das, was sie sich heimlich wünschte. Sie wollte sterben und heimkehren.
    „Wird es dieser Mann sein, der mich in den Käfig sperrt?“
    „Welcher Mann?“
    „Der blonde Mann. Ulissa sagt, er ist mein Feind.“
    „Du meinst den Antolianer?  Prinz Nadas Freund?“
    „Ulissa sagt, er wird mich an die Möwen verraten, wenn er herausfindet, wer ich bin.“
    „Davon weiß ich nichts“, sagte der Altja. „Trotzdem rate ich dir dringend, dich von ihm fern zu halten. Das möchte ich, aber es wird nichts nützen. Er wird deiner habhaft werden, so oder so, und das Seine tun, um uns in den Abgrund zu stürzen.“
    „Auch wenn ich jetzt sterbe?“
    „Nein, wie könnte er? Du wirst nicht mehr das Gesicht tragen, das ich in der Zukunft gesehen habe. Du wirst dein schlimmes Schicksal verhindern und uns alle retten, wenn du diese giftige Pille schluckst. Ich schäme mich, dass ich dir diesen Ratschlag geben muss. Aber ich flehe dich an, ihn dir zu Herzen zu nehmen. Unser aller Leben hängt davon ab.“
    Der Mann verschwand mit dem Licht des Tages, genauso plötzlich, wie er erschienen war. Agnes kletterte aus ihrem Versteck und rannte zum Schloss zurück. Oben, in ihrem Turmzimmer, holte sie die Schildkrötendose aus dem Regal, die ihr Amandis geschenkt hatte. Sie öffnete sie so schwungvoll, dass die kleine hellblaue Pille darin hin- und herrollte. Agnes nahm sie, überlegte kurz und steckte sie dann in eine kleine Brusttasche ihres Kleides. Dafür legte sie eine weiße Feder in die Dose, die sie im Garten gefunden hatte. Es musste ja nicht jetzt sein. Sie konnte auch noch morgen sterben oder übermorgen.
     
    Als Elsa erwachte, war es stockdunkel und eiskalt. Einen Moment lang dachte sie, sie sei Agnes, die im Turmzimmer in ihrem Bett lag und sich fürchtete. Aber sie war es nicht. Sie war jemand anders, ein Rabe mit einem anderen Gesicht, längst erwachsen geworden. Es war das Gesicht, das der Altja in der Zukunft gesehen hatte. Ulissas Gesicht. Alles war so eingetroffen, wie es der Altja vorausgesehen hatte. Er mochte gehofft haben, diese Zukunft werde sich durch Angais’ Tod ändern. Aber sie hatte sich nicht geändert. Vielleicht hatte sie durch Angais’ Tod erst angefangen.
    Immer wieder Ulissas Gesicht: Der Altja hatte geglaubt, wenn Angais es vergaß, würde es aus der Zukunft verschwinden. Aber der Altja war an einen Raben geraten, der seine Erinnerungen von einem Leben mit ins nächste nehmen konnte. Elsa hatte Ulissa mitgenommen. Sie war eine zweite Ulissa geworden und die Zukunft, die der Altja gesehen hatte, nahm ihren Lauf. Sie wurde von den Ausgleichern gejagt, von den Möwen in einen Käfig gesperrt und von den Rabendienern gequält. Sogar der Antolianer war ihrer habhaft geworden – ein erträgliches Übel. Fehlte nur noch der Weltuntergang. Was war damit?
    Elsa zweifelte keinen Moment daran, dass es Carlos gewesen war, der sie damals in ihrem Versteck aufgesucht hatte. Carlos in einer anderen Gestalt. Wo war Carlos jetzt? War es ihm gelungen, die Zukunft doch noch zu verändern? Gerade sah es nicht so aus. Elsa verkroch sich unter ihrer Decke, sie hätte am liebsten aufgehört zu denken und zu sein. Aber sie war immer noch da und fand weder Wärme noch Trost. Sie wusste nicht, was sie tun sollte. Sie hatte keine Ahnung, was getan werden musste, um zu verhindern, was Carlos gesehen hatte. Wenn sie

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