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Rabenschwärze - Der Grubenmann (German Edition)

Rabenschwärze - Der Grubenmann (German Edition)

Titel: Rabenschwärze - Der Grubenmann (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Markus Kammer
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sich etwas an dieser Position veränderte, wachte sie auf. So geschah es auch an dem dämmrigen Tag, als sie auf einer alten Tür lag, die sie über das nasse, schwammige Gras gelegt hatte, um halbwegs im Trockenen schlafen zu können. Sie erwachte aus einem Traum, in dem sie suchend und fliehend durch eine Ebene geirrt war, die keinen Anfang und kein Ende hatte. Da die Pilze, die während ihres Schlafs fast meterhoch aus dem Boden gewachsen waren, nun merkwürdige Ausstülpungen bekamen, die an Hände und Füße erinnerten, wusste sie, dass es höchste Zeit war, in eine wirkliche Welt zurückkehren. Sie musste einen echten Ort mit dem Fluch ihrer Gegenwart belegen.
    Müde richtete sie sich auf. Sie war schmutzig von oben bis unten. Die Worte des Rabendichters klingelten in ihrem Kopf. Als der Dichter in dem beneidenswerten Zustand der Trunkenheit gewesen war, hatte er gesagt, dass er eine Antwort finden müsse auf die Frage, die er war. Elsa konnte ihm das nachfühlen. Sie fühlte sich auch wie eine einzige große Frage ohne Sinn. Eine Antwort gab es nur jenseits des letzten Tores. Jenseits aller Welten, die vergingen, sobald die Frage ihre Antwort fand. Also durfte nichts gefunden werden. Aber das Leben ohne Antwort war gerade sehr schwierig.
    Zwei Wochen waren erst vergangen seit Wenlache – und noch anderthalb elend lange Monate mussten vergehen, bevor Elsa die Möglichkeit hatte, Anbar wiederzusehen und wieder ein Teil des Lebens zu werden, vorübergehend. Dabei war es lächerlich, auf diesen Zeitpunkt zu hoffen. Brachte sie ihn doch in Gefahr und war jetzt schon mehr Schlamm als Mensch. An Liebe zu denken, in diesem heruntergekommenen Zwischenraum, war fast ein Unding. Elsa blickte in die Ferne, die keine war, und nahm all ihren guten Willen zusammen. Sie musste jetzt gehen. In eine Welt. Am besten in eine unbewohnte. Ja, eine unbewohnte Welt brauchte sie, um darin ihr fragwürdiges Dasein zu überstehen.
     
    Die Welten, in die Elsa kam, waren bewohnter, als ihr lieb war. Sie war geschwächt, daher verwandte sie nicht viel Mühe auf ihre Tarnung. In einer Fleischerei klaute sie ein Messer und auf einem verlassenen Schlachtfeld nahm sie sich von einem Toten ein ledernes Halfter mit Gürtel, in das sie ihr Messer stecken konnte. In einer modernen Welt ging sie durch einen riesengroßen Lebensmittelmarkt und aß sich dort satt. Bald kam ein aufgebrachter Regaleinräumer mit dem Geschäftsführer, der sie in ein Büro sperren und die Polizei rufen wollte. Elsa ersparte ihm die Mühe und verschwand hinter der nächsten Palette Hundefutterdosen. Die eine Lücke wurde geschlossen, die nächste geöffnet, dann wieder geschlossen. Elsa tat es wie im Traum, jedoch nicht, ohne aufmerksam zu horchen und sich umzusehen, die ganze Zeit, denn Möwen und Antolianer konnten überall auftauchen. Drei Wochen mochten auf diese Weise vergangen sein, als sie in ein Dorf kam, in dem keine Menschenseele wohnte. Sie beschloss, für ein paar Tage zu bleiben und sich auszuruhen.
    Das Dorf lag am Waldrand und machte einen wohlhabenden Eindruck. Die Häuser waren gemütlich eingerichtet und die Speisekammern gefüllt. Umso seltsamer war es, dass niemand zu Hause war. Keine Menschen, keine Tiere, außer den Vögeln und Eichhörnchen in den Gärten. Elsa war zu erschöpft, um sich deswegen zu sorgen. In einem der Häuser wählte sie eine Schlafkammer im oberen Stockwerk und legte sich dort um die Mittagszeit eines Sonnentages in ein kleines, aber bequemes Bett.
    Als sie am Abend aufwachte, war es schon dunkel und sehr still. Sie tastete sich im Dunkeln in den Wohnraum hinab. Im Kamin war Holz aufgestapelt, es dauerte nicht lange, bis sie das Feuer entfacht hatte und in einem Ledersessel Platz nehmen konnte, der davor stand. Lange Zeit, Stunde um Stunde, starrte sie einfach nur in die Flammen, ohne viel zu denken. Plötzlich erschrak sie: Sie musste eingenickt sein und dabei war ihr der Aeiol, den sie in den Händen gehalten hatte, entglitten. Mit einem Knall fiel er auf die Holzdielen. Wieder hellwach sammelte sie ihn auf und blieb auf dem Boden sitzen.
    Die Ungewissheit nagte an ihr. Was wusste Carlos über den Weltuntergang? Konnte sie ihn verhindern oder würde sie ihn herbeiführen, indem sie versuchte, ihn zu verhindern? Sie hätte gerne mit Carlos darüber gesprochen. Sie wusste, wo sie ihn finden könnte. Nämlich in Istland. Es gab da einen Moment in der Zukunft, in dem sie nach Istland zurückkehren und erschüttert sein würde.

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