Rabenschwärze - Der Grubenmann (German Edition)
vorgestern schon so gewesen war.
„Heißt das“, erwiderte sie langsam, „es gibt Krieg?“
„Du bist komisch, Migrall“, sagte Helgis, „du verbringst die Nacht bei einem Soldaten und weißt nichts vom Krieg? Ich dachte, du wärst nur deswegen bei ihm geblieben! Weil er fort muss und kämpfen!“
Elsa wandte sich wieder ihrer Waschschüssel zu und wollte ihre Haare mit Wasser ausspülen. Aber diese Handlung fiel ihr schwer. Ihre Gedanken lähmten sie. Denn so, wie es aussah, wussten die Ganduup, wo sie war. Diese plötzlichen Anzeichen von Krieg konnten kein Zufall sein. Wenn die Ganduup hier mitmischten, dann bedeutete es für die nächsten sechs Jahre das Schlimmste. Jeder Ort, den Elsa besuchte, würde heimgesucht werden, und jeder Mensch, mit dem sie sich anfreundete, würde in Lebensgefahr geraten. Sie konnte Helgis nur einen Gefallen tun, nämlich möglichst bald aus dieser Welt verschwinden und nie mehr zurückkommen. Aber wohin dann? Solange die Ganduup wussten, wo Elsa war, kam Elsas Gegenwart einem Fluch gleich. Es erinnerte sie an das, was Leimsel einmal zu ihr gesagt hatte: dass sie Unglück brachte, ob sie wollte oder nicht. Dass sie dazu verdammt war.
„Kannst du etwas schneller machen?“, fragte Helgis. „Sonst steigt uns noch jemand aufs Dach.“
Elsa tat ihr Bestes, um dieser Bitte nachzukommen, und fand sich bald in der Küche wieder, wo sie Kartoffeln schälte und Geschirr spülte und dem ältesten Jungen der Herrin eine Schaufel abnahm, mit der er unablässig auf einen Sack Mehl eingedroschen hatte. „Hexe, Hexe, Hexe!“, beschimpfte er sie, um es ihr so richtig zu geben, doch heute erwischte er sie damit in der falschen Stimmung. Mit einem zischenden Laut verwandelte sie sich ansatzweise in etwas Großes, Schwarzes, aber n ur so kurz, dass es der Junge kaum glauben konnte. Er verstummte und starrte sie mit großen Augen an. Dann flüchtete er in den Garten und Elsa kehrte an ihren Abwasch zurück.
Kurz darauf kam der Kohlenhändler und hinterließ viele schwarze Spuren im Treppenhaus, die Elsa eilig wegputzte, da sich wichtiger Besuch zum Mittagessen angekündigt hatte und bis dahin das Wohnzimmer glänzen und der Tisch aufs Feinste gedeckt sein musste. Während sie so beschäftigt war, gab sie das Rechnen auf und erinnerte sich stattdessen daran, dass sie schon ein paar mal Mutter geworden war, in früheren Leben, und dass es ihr nie behagt hatte, schwanger zu sein. Denn vom ersten Moment an, da das neue Leben in einem Raben heranwuchs, hinderte es ihn an jeglicher Verwandlung. Es war unmöglich, die Anfänge eines gewöhnlichen Menschen in sich zu tragen und sich aufzulösen. So ein werdendes Kind, wie klein es auch war, nagelte einen Raben auf seine menschliche Form fest oder sogar auf eine tierische, wenn man Pech hatte, aber so eine Erinnerung hatte Elsa glücklicherweise nicht.
Dann gab es da noch die Geschichten, die man ihr in Bulgokar erzählt hatte: Wie Rabenköniginnen in früheren Zeiten über falsche Geliebte gestolpert waren, die ihnen ein Kind anhängten, um sie zu schwächen und zu zerstören. Aber diese altmodischen Intrigen beunruhigten Elsa nicht weiter. Schließlich war sie an diesem Morgen schon eine Katze gewesen. Sie konnte immer noch eine werden, wenn sie wollte, was bedeutete, dass ihr gewisse andere Umstände erspart blieben. Darüber war sie sehr froh und für eine Weile führte sie ihre Bürste mit mehr Schwung über die Stufen als zuvor.
Doch die gute Stimmung verflüchtige sich schnell wieder, spätestens als Elsa das Essen auftrug und beim Gedanken an all die Welten, die vom Tellerrand stürzten, die Soße schräg hielt, sodass eine schmierige rostrote Flüssigkeit über den Jackenärmel des Bürgermeisters tröpfelte. Er merkte es nicht, immerhin. Elsa stand unschlüssig herum, unsicher, ob sie den Mann darauf aufmerksam machen und ihm mit der Serviette den Ärmel abtupfen sollte oder nicht. Da fiel ihr Blick auf das Gesicht der Herrin. Die lächelte. Zwar waren ihre Augen noch verquollen von den vielen Tränen, die sie laut Helgis vergossen hatte, doch jetzt war die Herrin fröhlich gestimmt. Sie gab Elsa durch ein Zwinkern zu verstehen, dass sie nichts unternehmen solle. Also ging Elsa weiter und als die Reihe an den Herrn kam, bemerkte sie einen Blickwechsel zwischen diesem und der Herrin. Wie ein Sonnstrahl fiel er in die Dunkelheit der Tage. Schlecht gehende Geschäfte, ein drohender Krieg, eine tränenreiche Ehe und doch so ein Blick.
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