Rabenschwärze - Der Grubenmann (German Edition)
vorhergesehen!“
„Das war glatt gelogen. Ich weiß nicht, was Nikodemia dir damals erzählt hat. Dass er dir das Buch gab, war auch nicht beabsichtigt. Eigentlich wollte ich nur, dass er dich ablenkt, bis ich mir einen guten Plan ausgedacht habe, was ich als nächstes mit dir mache. Ich dachte, er wüsste nichts von dem Buch, dass du im Stoffwagen vergessen hattest. Ich hatte es an mich genommen, vor ihm verheimlicht und gut versteckt. Aber er ist mir auf die Schliche gekommen. Er hat dir das Buch gegeben, das ich dir um jeden Preis vorenthalten wollte. Ohne davon zu wissen, beschloss ich, den Möwen einen Tipp zukommen zu lassen. Eine Botschaft, dass du nicht die bist, die du vorgibst zu sein. Doch noch während ich meinen Plan ausführen wollte, wurdest du enttarnt. In derselben Nacht bist du nach Bulgokar getürmt, geradewegs in Gaiupers Arme hinein.“
„Du hast alles falsch gemacht. Du hättest mir die Wahrheit sagen sollen!“
„Auf die Idee, dich gegen deine eigene Zukunft aufzuhetzen, bin ich später gekommen. Aber auch das hat nichts genutzt, sonst wärst du nicht hier. Das letzte Mal, in Istland, erinnerst du dich? Ich habe dir vorausgesagt, dass du hier etwas sehen wirst, das dir nicht gefällt. Zu dem Zeitpunkt war ich schon sehr hilflos. Alles, was ich unternommen hatte, war gescheitert. Weißt du, dass ich damals Edons Möwen verraten habe, dass du in Brisa bist? Als sie dich fast gekriegt hätten, aber am Ende doch Edon dran glauben musste und nicht du? In meiner Not habe ich daran mitgewirkt, dass Gaiuper die Verfahrenspläne erhält. Denn ich wusste, er würde dich noch einmal in die Finger bekommen und da wollte ich ihm die stärkste Waffe in die Hand geben, die man gegen einen Raben einsetzen kann. Dich habe ich geschwächt, soweit ich es vermochte, indem ich dir gesagt habe, dass du diese Begegnung überleben wirst. Aus eigener Erfahrung weiß ich, dass Raben am stärksten sind, wenn sie der festen Überzeugung sind, dass es ihnen gerade an den Kragen geht. Verzweiflung macht uns übermächtig. Also habe ich dir die Verzweiflung genommen, indem ich dir versichert habe, dass du es schaffen wirst, obwohl ich gehofft habe, dass du es nicht schaffen wirst. Für den Fall, dass ich umsonst hoffe, habe ich dich gegen deine eigene Zukunft ins Rennen geschickt. Habe dir gesagt, dass dich deine Rückkehr nach Istland unglücklich machen wird. Ich dachte, wenn sich eine wie du in den Kopf setzt, niemals zurückzukehren, um die vorausgesagte Zukunft zu verändern, dann wird sie es auch schaffen. Aber hier bist du und ich will dir keinen Vorwurf daraus machen. Warum solltest du etwas hinbekommen, was mir in achthundert Jahren nicht geglückt ist?“
Es hätte nicht viel gefehlt und Elsa hätte sich auf Carlos gestürzt, um ihm wenigstens die Nase einzuschlagen oder die Augen auszukratzen. Dabei war ihr klar, dass sie ihm kein Haar krümmen konnte, denn er war ein Altja und sie nicht. Sie war trotzdem in der Laune, es auf einen Kampf ankommen zu lassen – oder wäre es gewesen, wenn Carlos nicht einen Trumpf ausgespielt hätte, von dem er genau wusste, dass er Elsa damit den Wind aus den Segeln nehmen würde.
„In achthundert Jahren?“, fragte sie. „Was soll das heißen?“
„Über achthundert sind es mittlerweile“, sagte er, „und kein einziges Mal musste ich meine Erinnerungen aufgeben. Weißt du eigentlich, dass Raben uralt werden können? Es ist eine Technik, die wir Altjas entwickelt haben aus Angst vor dem Vergessen. Wir wollen nicht verlieren, was wir uns an Können und Wissen in einer Lebenszeit angeeignet haben. Zwar gibt es da die anderen Altjas, die uns schon als Kinder in ihren Kreis aufnehmen und lehren, doch fehlen uns nach dem Tod die persönlichen Erfahrungen. Die Erfahrungen sind es nun mal, die einen am weitesten bringen. Also versucht jeder Altja, sein Leben auszudehnen. Wenn ein Körper zu alt wird, verwandeln wir uns in einen anderen, einen jüngeren, und leben damit weiter. So schinden wir Zeit. Aber diese Zeit geht nicht spurlos an uns vorüber. Irgendwann können wir keine junge Gestalt mehr annehmen. Wir haben sowieso Probleme, uns noch zu verwandeln. Verwandeln wir uns in Tiere, sterben wir sofort, denn die Tierkörper halten unser Alter nicht aus. Unsere Kraft schwindet schließlich so sehr, dass wir uns nur alle zehn oder zwanzig Jahre einmal verwandeln können. Dann wählen wir die Gestalt eines anderen rüstigen Greises, einer Person, die wir uns vorher
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