Rabenschwärze - Der Grubenmann (German Edition)
„ich kann es nicht ändern.“
Sie sah mit Bedauern, wie sich die Tische leerten. Die Leute standen auf und gingen nach Hause, die Essensbuden wurden verriegelt und abgeschlossen.
„Ich muss wissen, wie es steht, wenn ich weit weg bin“, sagte sie. „Jemand muss mir eine Nachricht schicken!“
„Das geht nicht.“
„Wir könnten einen abgelegenen Treffpunkt ausmachen!“
Er schüttelte den Kopf, ohne sie aus den Augen zu lassen.
„Zu gefährlich?“
„In jeder Hinsicht. Ich verstehe, dass du Bescheid wissen willst, aber genau damit rechnen deine Feinde. Es ist besser, du weißt überhaupt nichts.“
„Was ist mit Istland?“, flüsterte sie. „Ist das sicher?“
„Wenn Gaiuper den Ganduup nichts verraten hat, sieht es gut aus für dein Zuhause.“
„Bestimmt?“
„Ich hoffe es. Wenn es aber nicht so wäre, könntest du auch nichts dagegen tun.“
Elsa dachte an das, was Carlos in der Zukunft gesehen hatte. Dass sie eines Tages heimkommen und erschüttert sein würde. Das gefiel ihr nicht. Andererseits kam es immer anders, als er glaubte. Vielleicht sähe sie dort etwas harmlos Schreckliches? Wenslaf, der seinen Laden verkauft und das Haus rosa angestrichen hatte? Sie wollte sich etwas Lustiges ausdenken, aber es half nicht. Sie hatte Angst.
„Ich sage es nicht gerne“, verkündete er nun mit einem Blick auf das letzte Paar, das seinen Heimweg antrat, „aber wir müssen jetzt gehen.“
„Leimsel wartet?“
„Antolia vor allem. Mit Leimsel muss ich nur kurz etwas besprechen.“
Trotzdem stand er nicht auf. Er saß ihr gegenüber und legte seine Finger auf ihre Hand. Lauter kleine, wundersame Ungeheuer krabbelten jetzt von dort durch ihre Adern mitten in ihr Herz. Das reichte aus, um sie am Denken zu hindern.
„Soll ich dir noch etwas verraten?“, fragte er.
Sie schaffte es kaum zu nicken und war sehr überrascht über das, was dann kam.
„Der Grubenmann“, erklärte er ihr mit eindringlichem Blick, „ist gar nicht dem Tod begegnet.“
„Sondern?“
„Einer Erscheinung, die er für den Tod hielt. Es war eine Frau. Sie war sehr blass, hatte schwarzes Haar und Augen, durch die er hinüber ins Jenseits schauen konnte. Eigentlich ein eindeutiger Fall.“
„Du meinst, sie sah so aus wie ich?“
„Ja. Sie sah genauso aus wie du.“
„Was willst du mir damit sagen?“
„Das erkläre ich dir jetzt“, meinte er. „Es war nämlich so: Er hat sie gefragt, ob sie der Tod sei, und daraufhin hat sie den Kopf geschüttelt. Sie hat nichts gesagt, aber sehr liebenswürdig gelächelt. Es kam ihm so vor, als ob sie ihn kennt, dabei war er ganz sicher, dass er sie in seinem ganzen Leben noch nie gesehen hatte. Dann verschwand sie so plötzlich, wie sie ihm erschienen war. Er hätte jetzt in Ruhe sterben können, denn er war verletzt und ausgehungert und hatte sich in einem Labyrinth von Sackgassen verlaufen, aus dem es keinen Ausweg gab. Es sei denn, er wäre noch mal zurückgekrochen, tief in den Berg hinein, um es mit einem neuen Irrweg zu versuchen. Aber dazu fehlte ihm die Kraft. Ihm war klar, dass er nur dieses eine Leben hatte und dass es nun zu Ende gehen würde. Damit hatte er sich schon seit Stunden, wenn nicht Tagen abgefunden. Doch die Erscheinung, die er gesehen hatte, ließ ihn nicht mehr los. Er war sich sicher, dass er sie eines Tages wiedersehen würde, wenn er nur lange genug lebte. Darum kroch er zurück, in den Berg hinein, ohne Hoffnung, dass es ihn retten könnte. Als er sich durch einen Engpass zwängte, durch den er bestimmt schon zehnmal gekrochen war, fasste seine Hand seitlich ins Leere. Da war nur ein kleines Loch, doch es schien ein Durchlass zu sein. Mit den Händen versuchte er, das Loch größer zu machen, und es gelang. Schließlich konnte er hindurchklettern und den Gang ausprobieren, der sich dahinter befand. Stunden später sah er einen ersten Widerschein von Tageslicht.“
Er machte eine Pause und sie versuchte zu begreifen, was er ihr mitteilen wollte. Ohne Erfolg.
„Woher weiß du das alles? Hat er es aufgeschrieben?“
„Nein, er hat es niemandem in dieser Weise erzählt. Du kannst es dir vielleicht denken: Der Idiot, der es geschafft hat, in einen antolianischen Hochsicherheitsschacht zu fallen, das war ich. Nichts an dieser Geschichte ist rühmlich oder heldenhaft. Aber alle finden sie unterhaltsam. Du hättest das Ganze vermutlich weggesteckt, so wie du alles einfach wegsteckst, aber mich verfolgt es und ich bin nicht mehr der Gleiche
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