Rabenschwärze - Der Grubenmann (German Edition)
nichts, wir erkunden nur. Du möchtest auch wissen, was wir, die Ganduup, auf der anderen Seite des Tors tun werden. Ob wir feindselig und kriegerisch sein werden und uns gegen dich stellen werden. Nein, das werden wir nicht tun. Ganduup sind friedliche Wesen, die ihren Körper, der sie peinigt, verlieren möchten.
Alles, was eine Form hat, ist vergänglich und unvollkommen. Alles, was eine Form hat, bereitet Kummer und Schmerzen. Wir Ganduup filtern das Gute und Ewige aus dem Vergänglichen heraus. Wir vernichten das Vergängliche, aber verehren das Sein. Indem wir durch das Tor gehen, befreien wir das Sein von seiner Form. Du und alle anderen unwissenden Menschen hängen an der Form. Ihr leidet mit der Form. Ihr leidet am Vergehen der Form. Durch euer Festhalten an der Form, erleidet ihr Schmerzen.
Wir sind nicht böse. Wer aufhört, sich an der Form festzuhalten, erkennt das. Deswegen ist es auch nicht böse, Welten zu zerstören. Denn wir zerstören nur die Form, das Sein selbst können wir nicht zerstören. Wenn wir uns von unseren Körpern und damit von unserer Form befreit haben, werden wir harmloser sein als jeder Lufthauch, der über das Meer weht. Denn auch die Luft hat einen Körper, wir aber werden keinen Körper mehr haben. Wir werden sein. Mit dem Werden und Vergehen haben wir dann nichts mehr zu tun.
Du willst wissen, ob es noch ein Meer geben wird, über das ein Lufthauch weht, wenn du durch das Tor gegangen bist. Wir stellen keine Bedingungen, wünschen uns aber, dass es kein Meer mehr gäbe. Alles hängt davon ab, ob du ein gutes oder ein böses Wesen bist. Das gute Wesen erspart dem Sein den Schmerz. Das böse Wesen stürzt das Sein in neue Formen, die in Schmerz entstehen und in Schmerz vergehen.
Niedergang und Fäulnis, Tod, Verderben und Verwesung gehen mit dem Meer und allem, was darin, darüber und an seinen Ufern lebt, einher. Wir haben versucht, dich zu lehren, was das heißt. Wir haben zerstört, damit dir bewusst wird, dass alles, was eine Form hat, dazu verdammt ist, seine eigene Zerstörung zu erleben. Früher oder später verdirbt jeder und jedes, nichts, das eine Form hat, währt ewig. Du selbst, tausendmal gestorben, müsstest das am besten wissen. Doch du bist frei in deiner Entscheidung. Sei gut oder böse, wie du es möchtest oder zu tun vermagst. Wir haben weder das Recht noch die Macht, dir Vorschriften zu machen. Bist du nun bereit, mit uns den letzten Weg anzutreten?“
Elsas Wahrnehmung war vernebelt. Nicht nur von dem Licht, das so hell war, dass die Umrisse ihres eigenen Arms flackerten und flimmerten, sondern auch von der Stimme der Ganduup oder vielmehr dem Sinn ihrer Worte. Es klang sehr einleuchtend, ja es brannte sich in Elsas Kopf hinein, dass mit den Formen aller Schmerz aufhören würde. Sie konnte damit aufräumen, mit all der Mühsal, die es bereitete, die schweren Brocken des Lebens vor sich herzuschieben, bis man nicht mehr konnte. Bis man aufgeben musste, früher oder später. Nicht mehr schieben, nur noch sein. Diese Vorstellung ließ Elsa verstehen, warum die Ganduup das reine Licht so schätzten. Seine Existenz kam einem Sein, das nichts mehr tut, sondern nur noch ist, am nächsten.
Es war alles so verführerisch und selbst, wenn es das nicht gewesen wäre, war Elsas Plan doch schon längst gefasst. Daher blieb nichts anderes mehr übrig, als mit einem Nicken ihr Einverständnis zu erteilen. Einen Gedanken lang schaute sie noch einmal zurück und fühlte Bedauern über den Verlust dessen, was ihr als das Höchste erschienen war: Wenlache und die Liebe an einem Sommertag. Aber was war ein Sommertag schon anderes, als ein Kampf von wuchernden Pflanzen um das Licht? Als ein Gerangel von Tieren um die lebensnotwenige Energie? Ein Tag, der damit endete, dass die geschicktesten Jäger satt waren und die schwächsten Tiere tot? Ein Tag, der selbst für den glücklichsten aller Menschen mit der Einsicht endete, dass das Unglück schon mit langen Schritten unterwegs war, um ihn einzuholen, so wie es den Naturgesetzen entsprach? Ein Tag der auch für Elsa mit dem Wunsch geendet hatte, dass sie irgendwann aufhören möge, um nicht für den Rest der Ewigkeit um ihr Glück trauern zu müssen. Dieser Kummer sollte nun gelöscht werden. Anbar würde das nicht verstehen. Er war zu menschlich, gefangen in seiner Sichtweise. Vor die Wahl gestellt, würde er den Schmerz wählen. So waren die Menschen. Sie hatten eine panische Angst vor dem Vergehen.
„Hier“, sagte
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