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Rabenschwärze - Der Grubenmann (German Edition)

Rabenschwärze - Der Grubenmann (German Edition)

Titel: Rabenschwärze - Der Grubenmann (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Markus Kammer
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eine Ganduup und reichte Elsa eine kleine blaue Flasche. Elsa öffnete sie und erkannte die silbrigen Tropfen, die sich am Flaschenrand bildeten. Sie hatte diese Tropfen schon einmal gesehen, in den Kellern der Ganduup-Festung, als sie neugierig dort herumspioniert hatte. Elsa erinnerte sich, wie ihr damals das Mädchen mit den gleißenden Augen erschienen war, um sie daran zu hindern, diese Tropfen mit ihrer Zunge zu berühren. Holanda selbst, ihr sprechendes, kindliches Wesen.
    Bei aller Einsicht in die Notwendigkeit ihrer Erlösung kam Elsa doch nicht umhin, sich zu fürchten. Ihre Hand, ihr ganzer Arm zitterte, als sie die Flasche an ihre Lippen führte. Entschlossen setzte sie sie zum Trinken an und schüttete alles in sich hinein, was die Flasche hergab. Es war nicht viel, nur ein Schluck, aber er genügte, um ihr Hirn schlagartig in eine schwarze, zuckende Kaugummimasse zu verwandeln. Bildlich gesprochen, denn so kam es ihr vor. Was wirklich geschah, wusste sie nicht. Vermutlich klappte sie zusammen und wurde irgendwie aufgefangen, bevor sie sich ernstlich beim Aufschlagen auf die Steine verletzen konnte. Sehen, Hören, Fühlen und Denken setzten aus und wenn sie doch mal sekundenweise wieder einsetzten, so sorgten sie für reichlich unsortierbare Empfindungen.
    Angenommen, ein Blitz könnte einem Menschen dickflüssiges Benzin in die Nasenlöcher träufeln, das anschließend in regenbogenfarbigen Gerüchen aus einem netzförmig gewordenen Körper diffundierte, so wäre das annähernd eine der Empfindungen, die Elsa zwischendurch mal hatte, bevor ihr wieder die Sinne abhandenkamen. Das war das eine. Das andere war ein dumpfer Schmerz, der anschwoll und verebbte, doch nie ganz verging. Man erklärte ihr, das sei das Leben, das noch im Körper steckte. Auch wenn der Schmerz schwer zu ertragen sei, so brauche sie ihn doch, denn er halte sie lebendig. So lange, bis sie erlöst sei. Das war eine wenig tröstliche Aussage.
    Es dauerte fünf Tage, bis Elsa wieder so etwas wie ein Bewusstsein zurückerlangte. Dieses halbwegs brauchbare Wissen um sich selbst kreiste anfangs nur um die eine Frage, was denn eigentlich schlimmer war: der dumpfe, unterschwellige Schmerz, den sie gerne loswerden wollte, aber nicht loswerden konnte, oder das Nichtvorhandensein all der Gefühle und Empfindungen, die sie als Mensch immer gehabt hatte. Sie vermisste den Geschmack auf der Zunge und die Fähigkeit zu riechen. Sehen konnte sie noch, doch glichen die Bilder unfesten Träumen, in die sich ständig etwas Fremdes hineinmischte. Unverständliche Bilder, Erscheinungen, schlecht Erkennbares, schlichtweg verschwommene Informationen machten sie ganz nervös und unruhig. Mit Geräuschen verhielt es sich ähnlich. Einzig der Ganduup-Gesang und die Töne, die die Ganduup mit Muscheln und ausgehöhlten Fruchtkernen erzeugten, verschafften Elsa Erleichterung. Sie waren wie etwas zum Festhalten in einer Welt, die in stetigem Schwimmen begriffen war.
    „Das ist die Wahrheit“, erklärte eine Ganduup in unmittelbarer Nähe. „In deiner menschlichen Form willst du die Unschärfe nicht wahrhaben. Alles soll fest sein und klare Grenzen haben. Aber in der Wirklichkeit gibt es keine klaren Grenzen.“
    Elsa wusste, dass sie in einem Bett lag. Zumindest imitierte sie das Liegen in einem Bett. Ihre Gestalt – körperlos und geisterhaft – konnte nicht liegen, wie es ein Körper tat. Sie konnte nur so tun als ob. Was sie auch eifrig tat, da sie sich mit der Wahrheit, schwimmend oder nicht schwimmend, absolut nicht abfinden konnte. Sie wollte ihren Körper zurückhaben.
    „Das möchten alle“, erwiderte die Ganduup an Elsas Bett, ohne dass Elsa etwas gesagt hatte. Elsa konnte noch gar nicht richtig sprechen, sie war erst dabei, es wieder zu lernen. Wenn sie es dann könnte, wären ihre Worte nur für die Ohren von Nicht-Ganduup bestimmt. Ganduup untereinander mussten nicht sprechen. Sie konnten sehen und fühlen, was andere Ganduup im Sinn hatten. Aber auch das musste gelernt werden. Hierfür benötigte Elsa drei weitere Tage. Sie lernte, die Bilder zu trennen, ihre Wahrnehmungen zu sortieren und sich durch die Wasser der schwimmenden Wirklichkeit zu bewegen wie ein Fisch. Auf diese Weise erkannte sie nach und nach die anderen Fische, also die anderen Ganduup, wie sie flackerten und sich ausrichteten und ihre eigene Wirklichkeit sortierten. Das war aufschlussreich und interessant und sehr verwirrend.
    „Nicht den Mut verlieren“, sagte eine

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