Rabenschwärze - Der Grubenmann (German Edition)
Erlöschen des Ziffernblattes, was spielte es da für eine Rolle, ob und wie sie Tegga begegnete?
Fern, unendlich fern war das Leben von Elsa aus Istland. Ihre Eltern existierten nur noch als blass gewordene, flackernde Bilder einer schwindenden Vergangenheit. Selbst von Anbar war nicht mehr geblieben als der undeutliche Traum einer Flamme, die nicht mehr wärmte. Sein Verlust tat nicht mal weh. Was war dagegen schon Tegga? Elsa warf ihm nichts vor, ihre Abneigung gegen ihn hatte sich in Gleichgültigkeit verwandelt. Sinhines Wunsch, er möge begnadigt werden und in den Kreis der Ganduup aufgenommen werden, stand Elsa deutlich im Sinn. Sie wollte es in Erwägung ziehen, falls sie es schaffte, Tegga am Leben zu lassen.
Gaiupers Folterknecht oder das, was von ihm übrig war, lag in einem sonnigen Zimmer an der Kette wie ein misshandelter Hund. Er ging auf alles los, was sich ihm näherte, und auch auf das, was sich ihm nicht näherte, nämlich all die Erscheinungen, die nur in seiner Einbildung existierten. Dass in seiner Einbildung die schlimmsten Geschöpfe hausten, die ihn bedrohten und anzuknabbern versuchten, dafür hatten die Ganduup gesorgt. Tegga war nicht mehr bei Verstand, sein Geist war vergiftet von Ganduup-Säften und -Tinkturen, die ihm das Leben zur Hölle machten. Sein Anblick, abgemagert und geschunden, verletzt von Hieben, die er sich selbst beigebracht hatte, war schlimm genug. Wäre Elsa noch ein Mensch aus Fleisch und Blut gewesen, sie hätte sich abgewendet und nach Luft schnappend seine Begnadigung erbeten, weil sie so einen Zustand nicht mit ansehen konnte.
D och Fleisch und Blut waren Elsa abhanden gekommen und das machte die Gegenwart Teggas zu einer riesengroßen Strapaze. Sie war allergisch gegen seine Herzschläge, seine pochenden Adern, seine Haut, seine Haare und seine Atmung, gegen alles, was an ihm lebendig war, was aß, verdaute, schwitzte oder Gerüche aussandte. Es überkam sie Ekel und ein Schmerz von innen, eine Mischung aus Sehnsucht und dumpfer Überlebensnot. Ihr Körper, der gegen den Tod kämpfte, machte sich bemerkbar und erinnerte sie an alle möglichen Verluste. Sie blitzten in ihr auf, merkwürdige Gefühle, verbunden mit Körperlichkeit. Sie hatte das Bedürfnis, nein, das übergroße Verlangen, all das wegzuwischen, den Ekel, die Sehnsucht, den Schmerz, die Verwirrung, indem sie den Auslöser all dieser Übel beseitigte. Tegga an der Kette. Wäre dieses sabbernde, verrückte Monster tot und kalt, dann wäre Elsa erlöst. Sie dachte dies, ohne zu wissen, wie stark Denken und Handeln in ihrer neuen Existenz verknüpft waren. Ihr fiel auf, dass die Farbe aus Teggas Gesicht wich. Es irritierte sie, wie er grau wurde. Sie hielt inne in ihrem wütenden Denken und innerlichen Toben, sie wollte sich bremsen, da sie schon ahnte, dass ihre Gefühle dem Gefangenen gar nicht gut taten, doch für diese Reue war es zu spät. Der schwere Körper Teggas knallte zu Boden, die Kette rasselte und seine Augen verdrehten sich. Der Mann war tot und Elsas Schmerz ließ nach. Ihr erster Übungsversuch war armselig gescheitert.
KAPITEL 45
Elsa war nach Teggas Tod ein anderer Geist als zuvor. Ihr Versagen schockierte sie. Allerdings verstand sie nicht, warum. Sie war jetzt eine Ganduup und fühlte sich einem Menschen wie ihm in keinster Weise verpflichtet. War es Eitelkeit, die sie so verstimmte? Dass sie nicht in der Lage war, ihr Denken und Handeln zu beherrschen? Es war reine Übung, sie würde es bestimmt noch lernen. Aber das war es nicht. Es war etwas anderes, das ihre Stimmung trübte.
Sie hielt sich an der Bootsanlegestelle auf. Sie tat so, als sitze sie auf einer Mauer, und starrte aufs Wasser, auf die schwimmenden, leuchtenden Punkte an seiner Oberfläche. Sie verfolgte das Licht auf seinem Weg, wie es das Wasser berührte und von diesem zurückgeworfen wurde gegen die Mauer, wo es flackernde Muster bildete, die aufblitzten und verblassten, in fortwährendem Wechsel. Früher wäre das Licht auch über Elsas Füße gesprungen. Über ihre Haut. Doch jetzt, da sie ein Geist war, fiel das Licht durch sie hindurch. Das bedauerte sie. Als sie noch einen Körper gehabt hatte, war sie in der Lage gewesen, einen anderen Körper zu berühren. Das ging jetzt nicht mehr. Nicht nur, weil sie ein Geist war, sondern auch, weil es den menschlichen Körpern schadete, wenn sie versuchten, eine Ganduup-Erscheinung anzufassen. Sie verbrannten sich daran.
Komischerweise übte die Vorstellung zu
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