Rabenschwärze - Der Grubenmann (German Edition)
glaubt, dass du dich für Amandis entscheidest.“
„Ich soll meine Cousine heiraten? Hat er das wirklich zu dir gesagt?“
„Ja. Es klang ganz einleuchtend.“
„Leimsel spinnt ab und zu.“
„Dann willst du das also gar nicht“, sagte sie und hob erwartungsvoll den Kopf, um zu sehen, ob sein Gesicht zu dem Gesagten passte.
„Du weißt doch, was ich von solchen Ehen halte.“
„Aber wenn du doch heiraten musst!“
Für einen kurzen Moment verabschiedeten sich alle Sorgen aus seinem Gesicht, weil er so lustig fand, was sie ihm erzählte.
„Antolia ist ein freies Land“, sagte er. „Hat dir das noch niemand erklärt? Da wird man nicht zum Heiraten gezwungen.“
„Leimsel hat gesagt, du musst ein Vorbild sein.“
„Die eigene Cousine zu heiraten, gehört aber nicht zum guten Ton. Das ist zu enge Verwandtschaft.“
Das war in Istland nicht anders und doch war Elsa überrascht. Aus einem sehr persönlichen Grund.
„Bin ich nicht auch deine Cousine? In gewisser Weise?“
„Ja, tatsächlich, das bist du“, sagte er. „Nicht nur in gewisser Weise, sondern ganz und gar, auch wenn es mir nicht so vorkommt.“
„Was soll das heißen – ganz und gar?“
„Segerte hat zu verschiedenen Zeiten Haare untersucht, die ich ihm von dir gegeben habe. Die Regierung hat ihrerseits eine Haarprobe genommen, kurz bevor sie dich exekutieren wollte. Bei den Untersuchungen kam heraus, dass du wie ein richtiger Mensch zusammengesetzt bist. Man könnte dem Aufbau deines Haars nicht entnehmen, dass du ein Rabe bist. Jedenfalls nicht, wenn man nur ein einziges Haar von dir untersucht. Nach der ersten Untersuchung hat Segerte festgestellt, dass du wirklich meine Cousine sein könntest, ebenso wie Amandis’ Schwester und Lians Tochter. Das Erbmaterial ist ähnlich.“
„Aber? Es gibt ein Aber, sonst würdest du nicht so gucken!“
„Ja, das Erstaunliche ist, dass du auch deine eigene Schwester sein könntest. Die Zusammensetzung deiner Haare ändert sich andauernd. Du bleibst dir selbst zwar sehr ähnlich, doch der biologische Aufbau variiert. Hätten wir zehn Haare von dir aus zehn verschiedenen Jahren, käme jeder Arzt zu dem Ergebnis, dass es sich um zehn verschiedene Personen handelt, die sich allerdings stark gleichen und eng miteinander verwandt sind.“
„Das kommt dann wohl von den Verwandlungen.“
„Oder auch nicht. Wir bräuchten Proben von Raben, die sich lange Zeit nicht verwandelt haben.“
„Aber mit meinen eigenen Eltern bin ich doch hoffentlich auch verwandt?“
„Das nehme ich an. Oder haben sie dich adoptiert?“
„Nein. Meine Mutter sieht mir auch sehr ähnlich.“
Er schüttelte den Kopf, heiter und traurig zugleich.
„Komische Gespräche führen wir hier“, sagte er. „Leider ist es mittlerweile unwesentlich, mit wem du verwandt bist und mit wem nicht.“
„Ja“, sagte Elsa. Sie starrte an Anbar vorbei in die Ferne, wo ein kleines Stück Wiese auf den blauen Himmel traf. „Ich liege ja sowieso im Sterben.“
„Du stirbst nicht“, sagte er. „Das, was du wirklich bist, ist noch sehr lebendig und es ist hier. Wenn ich dich die nächsten hundert Jahre als Geist mit mir herumschleifen könnte, würde mich das sehr trösten, aber das ist nicht drin.“
„Hundert Jahre?“ Elsa holte ihren Blick aus der Ferne zurück. „So lange lebst du noch?“
„Wenn ich die nächsten zwei Tage überstehe und nicht noch mal in ein Bergwerk falle, dann wäre das meine natürliche Lebenswartung.“
„So alt werdet ihr!“
„Mit hundert bekommen wir die ersten weißen Haare, dann geht es langsam bergab. Hundertdreißig, hundertvierzig, das ist das Alter, das die meisten Antolianer als Todeszeitpunkt bevorzugen.“
„Bevorzugen? Aber ihr könnt es euch nicht aussuchen?“
„Wenn der Körper nachlässt und krank wird, kann man der Gesundheit nachhelfen oder auch nicht. Wer eifrig nachhilft, wird früher oder später von den Medikamenten abhängig. Sie schwächen den Körper, aber sorgen schließlich für einen sanften Tod. Es gibt Antolianer, die das strikt ablehnen. In dieser gottverlassenen Kolonie, aus der Legard stammt, ist das so üblich. Die Bauern halten eisern durch, bis nichts mehr geht. Deswegen hat Legard eine Urururgroßmutter, die zweihundertdreißig Jahre alt ist. Sie ist blind und fast taub und hockt den ganzen Tag bewegungslos in einem Stuhl im größten Raum des Hofs. Die Familie liebt sie heiß und innig und sie selbst scheint nicht allzu sehr zu leiden. Aber
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