Rabenschwärze - Der Grubenmann (German Edition)
auch versprochen, Sinhine eine Botschaft zukommen zu lassen, die besagte, dass Kamark nicht mehr verfügbar sei. Es sollte nach Möglichkeit so klingen, als habe er die Begegnung mit Elsa nicht überlebt. Er wollte das Kapitel Rabendiener sauber abschließen, erklärte er Elsa, nur für den Fall, dass die Welten doch nicht untergingen. Nun war er also weg und Elsa menschenverlassen.
Sie hatte aber noch etwas vor und zu diesem Zweck begab sie sich in der Ganduup-Festung auf die Suche. Dabei stöberte sie vor allem in Ganduup-Gedanken herum, um herauszufinden, was mit einem bestimmten Gegenstand passiert war. Schließlich begab sie sich in den Teil der Festung, den Morawena bewohnt hatte und unterzog dort jeden Raum und jede Terrasse einer sorgfältigen Musterung. In einer staubigen Ecke fand sie es endlich, zerfleddert, verknickt und von echten Möwen bekleckert: ‚Bolhins Reisen’ oder das, was Gaiuper davon übrig gelassen hatte.
Sie musste das Buch nicht berühren, um es zu lesen. So wie die Ganduup-Priesterinnen Traumstoffe gewebt hatten, ohne mit den Händen die Schiffchen zu berühren, konnte Elsa in der Sonne sitzen, das Buch vor sich auf der weißen Mauer, und die Seiten mit ihrem Willen festhalten und umblättern. Sie las dort weiter, wo sie das letzte Mal aufgehört hatte, damals, als sie im Turmzimmer in Hagl mit Anbar auf die Dämmerung gewartet hatte. Zwar hatte sie durch Gaiupers Gedanken einen groben Überblick über die weitere Handlung bekommen, doch wie sie bald feststellte, hatte Gaiuper vieles ausgeblendet, was er für uninteressant gehalten hatte.
Elsas Aufmerksamkeit kehrte zurück in die alte, unterirdische Stadt in der Wüste mit den kühlen, unterirdischen Palästen, Plätzen, Gärten und Hallen der Weisheit. Sie las von den weißen Gelehrten, den grauen Gerechten und den schwarzen Priestern, die sich verwandeln konnten. Von dem Frieden, der dort herrschte, und den Bolhin so sehr bewunderte. Doch dieser Frieden zerbrach. Abtrünnige schwarze Priester wollten die Unendlichkeit bereisen, obwohl sie damit den Zusammenhalt der Stadt gefährdeten. Nach dem ersten verheerenden Erdbeben und der anschließenden Ausrufung des Krieges gab es nur noch einen Menschen, der einte, was einander fremd geworden war. Es war die junge Frau des Regenten, die den gesetzestreuen Schwarzen angehörte, doch mit einigen Rebellen gut befreundet war, die sie noch aus Kindheitstagen kannte. Den Grauen war sie durch ihre Heirat verbunden und ihr Einfluss auf den Regenten war groß, zu groß für den Geschmack vieler Leute. Die Weißen argwöhnten, dass die Schwarzen, als sie sich noch einig gewesen waren, alles unternommen hatten, um diese Heirat herbeizuführen, sicherte sie ihnen doch einen Teil der Macht, die sonst in den Händen der Grauen und der Weißen verblieben wäre. Seit das Mädchen im Regentenpalast wohnte, gingen die Schwarzen dort ein und aus und betrachteten sich als persönliche Vertraute des Anführers. Der Regent ließ sich aber nichts zu Schulden kommen. Auch nach seiner Heirat verwaltete er die Stadt umsichtig und gerecht, sodass die Weißen trotz allem zufrieden waren.
Drei Tage, nachdem der Krieg ausgerufen worden war, doch die Stadt in bangem Frieden verharrte, gingen der Regent und seine Frau durch die vom Erdbeben beschädigten Straßen. Es war ein Zeichen der Hoffnung und mehr und mehr Menschen folgten ihrem Beispiel. Auch Bolhin. Es war ein fröhlicher Tag, denn die Menschen, die sich auf den Straßen trafen, waren erleichtert und lachten miteinander: Die Grauen mit den Weißen, und auch Schwarze mischten sich darunter. Am Brunnen der Freihei t, der beim Erdbeben verschüttet worden war, sah man sogar einen der schwarzen Rebellen bei der Arbeit, gemeinsam mit den anderen Bauleuten, die versuchten, die unterirdischen Wasserleitungen wieder freizulegen. Die übrigen Rebellen waren nicht zu sehen, doch sie verhielten sich ruhig. Kein Beben und keine Erschütterungen zeugten von verbotenen Handlungen. Es sah so, als hätte sich die Stadt im Angesicht des Krieges darauf besonnen, den Frieden zu halten und damit das Glück.
Bolhin sah das Regentenpaar, wie sie in seiner Nähe eine Treppe hinabstiegen. Gerade hatte die Frau ihren Arm in den ihres Mannes geschoben, da erstarrte sie und ihrem Mund entfuhr ein stummer Schrei. Ein Pfeil hatte sie getroffen, geradewegs in die Brust. Bolhin sprang auf, wollte sehen, wer geschossen hatte, doch er konnte den Mörder nicht ausfindig machen. Der Regent
Weitere Kostenlose Bücher