Rabenschwärze - Der Grubenmann (German Edition)
und über mit Staub und Erde bedeckt, sah er aus wie einer der ersten Götter beim Erschaffen der Welt. Wie einer, der schnaufend Berge hin und her trug und Blitze mit der Hand auffing.
Den Raben hielt es nicht mehr auf seinem Dach. Er flog auf und segelte mit ausgebreiteten Flügeln über die Dächer und Straßen hinweg, die ihn vom König trennten. Noch bevor der Rabe den Mann erreichte, sah dieser den Vogel kommen. Er hob seinen rechten Arm und hielt seinen Handrücken dem Ankömmling entgegen. Und als ihm der Rabe bei der Landung seine Krallen in die Haut bohrte, strahlte er sein gütigstes Lächeln aus himmelblauen Augen.
„Willkommen zu Hause!“, sagte er mit seiner tiefen Stimme, die wohlig in allen Dingen vibrierte. „Du warst viel zu lange fort.“
MARKUS konnte es nicht fassen, dass die klogrünen und kloblauen Fliesen der B-Ebene noch genauso hässlich waren wie vor zehn Jahren, als er sie das letzte Mal gesehen hatte. Es roch nach Essen und dem Muff der U-Bahn-Schächte. Die Leute hetzten von hier nach da und von da nach hier, bis auf den einen mit der Gitarre, der immer noch Werbung für Jesus machte. Markus blieb in Bewegung, er wollte ja nicht umgerannt werden oder den Jesusmenschen auf falsche Ideen bringen, aber eigentlich, so geistig, rührte er sich nicht vom Fleck. Er eierte also ohne Ziel kreuz und quer durch diese Ansammlung von Läden und Fressbuden und fand es großartig. Das Paradies hätte nicht toller sein können, aber Markus glaubte nicht, dass er tot war. Ursprünglich hatte er sich ja betrinken wollen vor der großen Apokalypse, aber dann hatte er den richtigen Zeitpunkt verpasst, irgendwie. Er war gerade durch so eine Art Heißluftballonflughafen geschlendert, als der schicke Mosaikboden unter seinen Schuhsohlen zu brummen angefangen hatte. Er hatte noch Zeit gehabt, so was zu denken wie: Oh, verdammte Scheiße … und dann hatte er seine Füße angestarrt, wie sie so millimeterweise hin- und herzitterten, bis es aufhörte. Seine Füße zitterten noch länger als sie hätten müssen, aber dann war es auch gut. Die Leute um ihn herum machten dann so weiter wie vorher, als wäre nichts gewesen, und genau in dem Moment, als er das feststellte, kam er sich beschissen ausgeschlossen vor.
Es war ja nun mal so: Er hatte sich lange genug mit überweltlichen Schurken und bösen Mächten herumgetrieben, um das Gefühl zu haben, dass er dazugehörte. Zu denen, die das Sagen hatten. Okay, so grundsätzlich wollte er lieber zu den Guten gehören, aber jetzt, in Freiheit, gehörte er zu niemandem mehr. Das frustrierte ihn. Ein bisschen. Nicht der Rede wert. Er ging vorsichtshalber zu dem Tor zurück, durch das er gekommen war, um einen Blick ins große Ganze zu werfen, so wie ein Indianer, der die Nase in die Luft hält, um eine Wetterprognose für die nächsten drei Tage abzugeben. Als er sich dann anschickte, so indianermäßig nach dem Rechten zu sehen, riss es ihn fast von den Füßen, weil sich die Schwerkraft zwischen den Toren verschoben hatte. Das mit der Schwerkraft war natürlich eine totale Schwachsinnsbehauptung, denn zwischen den Toren gibt es keine Schwerkraft. Aber es war eben anders als vorher und das traf ihn so unvorbereitet, dass es ihn fast sonstwohin gebombt hätte, ganz und gar nicht indianermäßig, aber er konnte sich rechtzeitig abfangen und wundern und so tun, als wäre nichts gewesen.
Nach dem ersten Schreck war er reichlich geplättet, denn ihm wurde klar, dass er jetzt überallhin konnte. Alle Welten, aber auch wirklich alle Welten, von denen er jemals was mitgekriegt hatte, waren da und er konnte hingehen. Er stolperte dann quer durch diese galaxieähnliche, unvorstellbare Weite, die ihn von seiner Heimat trennte, so vom Gefühl her. Denn das waren zehn Jahre gewesen, die sich wie hundert Jahre angefühlt hatten, nein, eigentlich wie ewig, weil er ja nicht hatte wissen können, ob er jemals wieder zurückkäme, zumal es ständig fraglich gewesen war, ob er den nächsten Tag überleben würde, was ein extrem fieser Zustand war. Jetzt war er vorbei, der fiese Zustand, so sah es aus. Einmal durch unendliche Weiten back to Frankfurt. Nicht zu fassen. Und die redeten alle so komisch. Jetzt hatte er bestimmt einen schrägen Akzent im Deutschen. Vielleicht, dachte er, vielleicht schreib ich ein paar Bücher. Tu so, als hätte ich eine eigene Sprache mit Grammatik erfunden, so wie Tolkien. Weiß ja keiner, dass die Hälfte aller Welten so redet.
Jetzt musste er
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