Rabenschwärze - Der Grubenmann (German Edition)
es mit Unbehagen beobachtet, wie sich der Bauerssohn in die große Politik eingemischt hatte und darüber gestritten, ob dies nicht anmaßend sei. Zumal er sich ausgerechnet der Partei anschloss, die den Herrschaftsanspruch der führenden Partei in Frage stellte. In einer traditionsbewussten Kolonie wie Halbas verehrte man die Politiker noch ernsthafter, noch treuer, noch fragloser als in anderen Teilen Antolias. Es war nicht richtig, die Regierung anzugreifen und ihr zu unterstellen, sie wolle nicht das Beste für alle Welten. Doch der junge Antur hatte seinen eigenen Glanz und die Grubenmanngeschichte war in Halbas beliebt. Darum war man hin- und hergerissen zwischen einem gewissen Stolz auf Legards unglaubliche Karriere und tiefer Scham über sein unanständiges Verhalten. Nun, da sich die Krise innerhalb weniger Stunden so unerwartet entwickelt hatte, war es gerade für die Bewohner von Halbas sehr wichtig zu erfahren, welchen Anteil ihr Bauerssohn an diesem Geschehen hatte. Ob er ehrenhaft und umsichtig gehandelt hatte oder womöglich seine Pflicht vernachlässigt und mit dem Leben dafür bezahlt hatte.
Carlos hielt die Augen halb geschlossen und lauschte den allgemeinen Diskussionen mit einem Lächeln auf den Lippen. Hin und wieder mischten sich seltsame Erscheinungen in das Dunkel unter seinen Augenlidern, undeutliche Bilder, verwaschen noch, um Deutlichkeit ringend. Carlos musste nichts erkennen, um glücklich zu sein. Alles, worum es ihm ging, war da. Die Zukunft zeigte sich wieder. Irgendwann würde sich die verrätstelte Klarheit einstellen, die er von seinen Visionen gewohnt war. Doch er hatte nicht vor, diesen Bildern noch allzu viel Bedeutung beizumessen. Früher, bei den Altjas, hatte man die Kunst der Vorhersage gepflegt und die Ratsschlüsse auf die vemeintlichen Weissagungen hin abgestimmt. Doch Carlos hatte sich auf diese Weise schon so oft selbst betrogen, dass er allmählich die Lust am Spionieren in der Zukunft verlor. Vielleicht bestand die wahre Herausforderung dieser Erscheinungen darin, sie hinzunehmen wie das Wetter und den Lauf der Dinge. Er würde es herausfinden. Er würde diese Frage studieren wie so viele andere Fragen, die ihn faszinierten. Und er hoffte inständig, dass die fast hundert Altjas, die nun leider wieder das Universum mit ihm teilten, keine Mittel und Wege fanden, ihn daran zu hindern.
PUJA war ruhelos. Schon wieder stand sie auf, ging zum Küchenschrank, holte eine Tasse heraus, stellte sie auf den Tisch.
„Danke, für mich keinen Tee!“, sagte Sani. „Hörst du mir überhaupt zu? Willst du nicht wissen, was Tomas sich überlegt hat?“
„Es geht mir einfach nicht aus dem Kopf“, sagte Puja, vor dem Küchentisch stehenbleibend. „Wir waren schon so alt, als wir Elsa bekommen haben. Immer habe ich gedacht: Das ist nicht recht, dass das Mädchen so alte Eltern hat.“
„Was für ein Unsinn. Ich war auch nicht viel jünger, als ich Kola bekommen habe. Und Wenslafs Vater war ein Greis, als er mich in die Welt gesetzt hat!“
„Siehst du, das meine ich! Er ist gestorben, als du drei Jahre alt warst. Ich hatte immer Angst, dass ich Elsa zu früh auf dieser Erde zurücklasse. Ohne Geschwister oder sonst jemanden, der zu ihr gehört. Aber war passiert? Unser Mädchen wird kaum zwanzig Jahre alt und schon verlässt sie uns für immer. Das ist nicht richtig!“
„Ich weiß. Aber davon, dass du es mir hundertmal erzählst, wird es nicht besser!“
„Sie war ja sowieso viel weg. Manche Leute sagen zu mir: ‚Puja, es hat sich nicht viel geändert für dich. Wann hast du sie das letzte Mal gesehen? Vor einem Jahr oder vor zwei? Stell dir einfach vor, sie wäre immer noch da, nur eben ganz woanders.’ Aber für mich ist es nicht das Gleiche. Ich hatte immer das Gefühl, dass mein Kind bei mir ist, egal wo sie lebt. Ob in Kristjanstadt oder in Suaz. Aber jetzt ist sie weg. Das ist ein Unterschied für mich. Nie wieder kann ich ihre Hand drücken oder dafür sorgen, dass sie was Gescheites zu essen bekommt. Mein Mädchen. Es ist noch nicht lange her, da hab ich ihr morgens die Zöpfe geflochten und sie mit ihrer Brotbüchse zur Schule geschickt. Ich hab damals nicht gewusst, wie glücklich ich war.“
Puja ging zum Herd, nahm die Kanne von der Platte und schenkte Tee in Sanis Tasse.
„Willst du Zucker?“
Sani schob die Tasse weg und stand auf.
„Passt bitte gut auf Kola auf! Ich muss im Laden noch Ordnung schaffen, bevor die nächste Ladung kommt.“
Puja
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