Rabenschwärze - Der Grubenmann (German Edition)
anders. Zwar schloss er seine Arme um sie und drückte sie an sich, erklärte ihr aber Dinge, die sie nicht hören wollte.
„Selbst wenn ich dir einen Treffpunkt nenne, weil du mir keine Ruhe gibst oder ich es nicht übers Herz bringe, dir diese Bitte abzuschlagen, heißt das noch lange nicht, dass ich dann auch komme. Bis dahin bin ich hoffentlich wieder vernünftig. Wahrscheinlich schicke ich dir jemanden, der dir erklärt, was ich dir gerade nicht beibringen kann: Das hier ist eine Sackgasse und dein Weg führt in eine andere Richtung.“
Sie schloss die Augen. Er war nicht nur schön und fühlte sich gut an, nein, er roch auch noch gut. Da war sie mit so vielen Fähigkeiten ausgestattet und konnte doch den Mann, den sie liebte, nicht davon überzeugen, dass er bei ihr zu bleiben hatte. Warum kam er nicht auf die Idee, mit ihr zu fliehen? Sie würde es tun. Sie würde alles stehen und liegen lassen für ihn. Im Hintergrund nahm sie wahr, wie Leimsel das Zimmer betrat und schnaufte. Vielleicht war er schon wieder kurz davor, loszuschimpfen, doch Anbar drehte den Kopf.
„Einen Moment noch, Leimsel“, sagte er und wedelte mit der Hand in Richtung Tür. Nachdem Leimsel der Aufforderung nachgekommen sein mochte, wurde Elsa sachte mit zwei Händen von dem Ort entfernt, an den sie gehörte. Er schaute sie ernst an, sein Gesicht war nur eine Hand breit von ihrem entfernt.
„Es wird jetzt höchste Zeit, Elsa“, sagte er leise. „Frag Morawena nach Wenlache, sie weiß, welchen Ort ich meine. Er ist in der Regel verlassen, aber pass trotzdem auf, wenn du dort hinkommst. Die Wintersonnenwende ist dort einen Monat später als hier, diesen Tag kannst du dir merken. Erwarte nicht, dass ich dort bin. Vielleicht lernst du Legard kennen. Oder möchtest du Romer noch mal wiedersehen?“
„Das ist nicht lustig!“
„Nein“, sagte er, „ist es nicht.“
Er sah sie an wie jemand, der sich ein geliebtes Gesicht genau einprägen muss, weil er weiß, dass er es nie wiedersehen wird. Sie wollte widersprechen, verhindern, dass es so käme, aber konnte weder etwas sagen noch tun. Er fuhr ihr noch einmal mit den Fingerspitzen über die Wange, küsste kurz ihre Lippen und stand auf. Sie saß wie gelähmt auf ihrem Sofa, als er den Flur betrat und von Leimsel zur Tür gebracht wurde. Sie lauschte. Leimsel klang weniger aufgebracht als zuvor. Er verabschiedete Anbar kameradschaftlich und schloss dann die Tür hinter ihm. Als Leimsel wieder ins Wohnzimmer trat, sank Elsas Herz tiefer und tiefer. Anbar würde nicht nach Wenlache kommen. Alles, was sie dort erwarten konnte, war eine Botschaft von ihm. Sie fühlte sich miserabel. Gerade noch hatte das Leben in den buntesten Farben geblüht und jetzt war es so verwelkt wie die toten Blumen, mit denen Madelene ihr Wohnzimmer geschmückt hatte. Leimsel sank in den Sessel, in dem er zuvor schon gesessen hatte, rieb sich die Augen und schüttelte den Kopf.
„Es tut mir leid“, sagte er. „Ich wollte nicht unhöflich sein, aber das, was ich da gesehen habe, war die reinste Katastrophe.“
„Für mich nicht“, widersprach sie, aber ihre Stimme war schwach.
„Das behauptest du jetzt“, sagte Leimsel. „Aber wenn dir etwas an ihm liegt, dann wird dir die Sache in Zukunft schlecht schmecken.“
„Warum?“
Leimsel litt. Wieder holte er sein Taschentuch heraus und tupfte sich die Stirn ab.
„Warum müsst ihr Raben nur so menschlich sein?“, klagte er.
„Wie sollen wir denn sonst sein?“, fragte Elsa. „Was sollte das überhaupt heißen: dass er ausgerechnet auf so ein Mädchen hereinfällt? Ich bin doch kein faules Ei!“
„Ihr Rabenfrauen habt nun mal einen zweifelhaften Ruf“, sagte Leimsel, ganz ohne schlechtes Gewissen.
„Eure Rabenfrau vielleicht“, entgegnete Elsa. „Ich komme aus einem anderen Universum.“
„Normalerweise ähnelt ein Schaf dem anderen“, sagte Leimsel. „Aber in diesem Fall sehe ich dir tatsächlich an der Nasenspitze an, dass es sich nicht um einen kühl kalkulierten Schachzug gehandelt haben kann.“
„Soll ich dir jetzt dankbar sein?“
„Nicht sauer sein, Mädchen, du ahnst ja nicht, was du hättest anrichten können.“
Elsa verdrehte die Augen. Musste sie sich solche Predigten von einem Mann anhören, der sich eine vierzig Jahre jüngere Frau geangelt hatte?
„Wo ist eigentlich Madelene? Warum ist sie nicht mit dir zurückgekommen?“
„Sie war schrecklich nervös. Ich hielt es für besser, sie nach Antolia zu ihren Eltern
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