Rabenschwärze - Der Grubenmann (German Edition)
Gefahr gewesen. Heute sind wir schwächer und können nicht vorhersagen, wie der Krieg ausgeht. Wenn wir verlieren, ist sowieso alles vorbei. Wenn nicht, was ich jetzt mal hoffe, dann brauchen wir Anbar für die Zukunft.“
„Was ist mit Legard?“, fragte Elsa. „Kann der nicht die Hochwelten retten?“
„Ja, liebend gerne“, sagte Leimsel. „Das ist der richtige Mann für diese Aufgabe. Noch sehr jung, aber klug und vollkommen verlässlich. Er hat mehr Verstand im kleinen Finger, als Anbar jemals aufbringen wird. Aber Legard hat nicht Anbars Namen und Vergangenheit. Er hat eine andere Geschichte, eine sehr interessante Geschichte, aber keine, die die Antolianer dazu bringen wird, ihre vermeintliche Sicherheit aufs Spiel zu setzen. Das werden sie nur für Anbar tun. Glücklicherweise weiß Anbar auch, was Legard wert ist. Sollte es jemals einen Regierungswechsel geben, dem Anbar vorsteht, so wird er sich in seinem Handeln und seiner Entscheidungsfindung auf Legard verlassen, was mir eine große Beruhigung ist.“
Elsas Blick wanderte unschlüssig über Madelenes zierlichen Wohnzimmertisch mit der Spitzentischdecke und einer Vase, in der getrocknete Rosen standen. Flüchtig überlegte sie, ob Madelene all diese Blumen von Leimsel geschenkt bekommen hatte und sie deswegen nicht wegwerfen wollte. Doch abgesehen von dieser unwichtigen Frage beschäftigte sie etwas ganz anderes: Wenn es so war, wie Leimsel behauptete, so war es Elsas Pflicht, sich möglichst bald in Luft aufzulösen. Fortzugehen und nie mehr zurückzukommen. Genau darum hatte auch Anbar sie gebeten. Nicht nur heute, sondern auch früher schon. Aber wenn das wirklich alles war, was ihr zu tun blieb, was machte ihr Leben dann noch für einen Sinn?
„Lass mich dir erzählen, wer er ist“, sagte Leimsel im gemütlichen Plauderton. „Dann wirst du verstehen, warum er nicht sich selbst gehört. Schuld an allem ist sein Großvater Torben. Hätte er das Kind in Ruhe gelassen, dann könnten wir jetzt seelenruhig zusehen, wie Antolia vor die Hunde geht. Wir könnten es nicht ändern. Anbar stünde es frei, sein Leben so langweilig und unspektakulär zu verbringen, wie es ihm vielleicht Freude machen würde, und ihr beide wärt euch vermutlich nie begegnet.“
„Darf ich die ausziehen?“, fragte Elsa und zeigte auf ihre Stiefel.
„Fühl dich wie zu Hause“, sagte Leimsel.
Elsa rutschte in die eine Ecke des Sofas, in der Anbar gesessen hatte, und zog die Beine unters Kleid. An die Seitenlehne gedrückt, den Blick ins Dunkle gerichtet, erwartete sie Leimsels Bericht.
KAPITEL 28
„Es wird dich sicher interessieren“, erzählte Leimsel, „dass ich schon ein Ratsmitglied war, als Torben Antur seinen Enkel das erste Mal mitgebracht hat. Stolz kam er anspaziert, der ehrwürdige Torben, mit seinem kleinen Enkel an der Hand. Das Kind war höchstens fünf Jahre alt und konnte kaum mit seinem Großvater Schritt halten. Es hatte goldenes Haar und war eindeutig Mamas Sonnenscheinchen, sehr wohlerzogen und eingeschüchtert. Der Rat und die Regierungsgebäude in Antolia sind beeindruckend. Selbst ein Erwachsener, der diese Häuser das erste Mal betritt, kommt sich darin klein und nichtig vor. Wie muss sich der Junge gefühlt haben, als Torben ihm erklärt hat, dass er eines Tages über diese Monumente der Macht zu gebieten habe. ‚Siehst du meine riesigen Fußstapfen?’, schien Torben mit jedem Wort und jeder Geste zu sagen. ‚Eines Tages, mein Kind, wirst du in diese Fußstapfen hineinwachsen. Und alles, was dir jemals gelingen kann, ist, dass du diese Fußstapfen ausfüllst. Doch selbst wenn du sie nur halbwegs ausfüllst, wird es reichen. Denn ich bin ein großer Mann.’ Dann kamen Torbens Ratskollegen und trugen den Kleinen herum, herzten ihn, lachten ihn an, meinten es gut und sprachen über seine Zukunft. Ich ärgerte mich damals maßlos über dieses Theater. Man kann kein Kind zum Politiker erklären. Schon gar nicht zum Regierungsführer. Es entspricht nicht Antolias Tradition. Der Beste soll es werden. Der Besonnenste, der Weitsichtigste, der Gerechteste. Nicht ein Kind, das vom Großvater dazu bestimmt wird.“
Leimsel sah grimmig aus, während er das erzählte. Doch auf einmal hellte sich seine Miene auf.
„Glücklicherweise sind nicht alle Mitglieder dieser Familie so engstirnig wie Torben Antur. Anbars Vater stammt aus bescheidenen Verhältnissen. Er brachte es als Außengänger zu Ansehen und eroberte auf diese Weise Torben Anturs
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