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Rabenschwärze - Der Grubenmann (German Edition)

Rabenschwärze - Der Grubenmann (German Edition)

Titel: Rabenschwärze - Der Grubenmann (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Markus Kammer
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eine Gänsehaut, wenn er auftaucht.“
    Auch Elsa erschauerte, genauso wie die Kinder.
    „Natürlich war in Antolia die Hölle los“, erzählte Leimsel. „Die Schattenskriptoren des Bergwerks hatten es aufgezeichnet, dass Torbens Enkel abgestürzt war. Er war verloren, von den Maschinen zerstampft oder beim Sturz zerschmettert, daran bestand kein Zweifel. Zumal man ihn nicht wieder hätte hochholen können, wenn er es doch überlebt hätte. Eine höchst tragische Geschichte war das, auf die sich alle Zeitungen stürzten. Plötzlich stellten sie ihn als außerordentlich begabten Jüngling hin, der durch überragende Leistungen schon in zartem Alter eine große, politische Rolle gespielt hatte. Sein Bild schmückte alle Titelseiten, die Anturs wurden bemitleidet, und selbst die Dummheit und der Leichtsinn, die zu diesem Unfall geführt hatten, wurden irgendwie unter den Teppich gekehrt. Bestimmt hatte der junge Antur Gründe gehabt, über die Maschinen zu klettern, das glaubten die Leute. Ein so begabter Junge würde doch nicht grundlos sein Leben riskieren!
    Es gibt nicht viel Tragik in den Hochwelten und Torben Antur ist ein Meister der Selbstdarstellung. Auch wenn Anbar nicht überlebt hätte, wäre er als Held in die Geschichte eingegangen, dafür hätte Torben Antur gesorgt. Eine lächerliche Vorstellung zwar, aber leider wahr. Nun war der Junge aber gar nicht tot. Nach ungefähr zehn Tagen stolperte er auf der anderen Seite des Berges ans Tageslicht. Er schleppte sich in ein abgelegenes Gebirgsdorf und brach dort zusammen. Die Bewohner brachten den schmutzigen, verwahrlosten, verletzten und geistig verwirrten Fremden in die nächste Stadt in ein Krankenhaus. Dort lag er eine Woche lang in Fieberträumen und war nicht ansprechbar. Die Legende besagt, dass eine alte Frau, die den Kranken jede Woche frische Blumen ans Bett stellte, an Anbars Bett trat, um die verwelkten Blumen in eine alte Zeitung zu wickeln. Dabei fiel ihr Blick auf ein Zeitungsfoto des toten Antur und sie stutzte: Der Kranke mit dem eingefallenen Gesicht sah dem abgestürzten Helden sehr ähnlich. Erst wollte der Frau keiner glauben, die Geschichte war einfach zu fantastisch. Dann aber wurden Anbars Eltern nach Oinego bestellt und sie bestätigten, was niemand zu hoffen gewagt hatten: Ihr Kind hatte sich gerettet!“
    Leimsel sah zum Fenster hin. Draußen war nun stillste Nacht. Das Licht einer Laterne fiel auf das gegenüberliegende Haus, dessen Fensterläden alle verschlossen waren. Mit einem Lächeln auf den Lippen fuhr Leimsel fort:
    „Als die Nachricht herauskam, dass der verunglückte Antur durch den Berg gekrochen und dadurch überlebt hatte, verloren die Hochweltler vor Begeisterung jedes Maß. Sie verklärten den Grubenmann zum unfehlbaren Helden mit übermenschlichen Fähigkeiten. Mit der Wirklichkeit hatte das wenig zu tun. Der echte Grubenmann war ein Junge, der mit seinen Nerven am Ende war. In den ersten Wochen wurde er von Alpträumen geplagt, dann konnte er überhaupt nicht mehr schlafen. Er verlor den Appetit und magerte ab. Vor allem aber wurde er trübsinnig, so schlimm, dass er nicht mehr antwortete, wenn man ihn etwas fragte. Selbst Torben sah ein, dass sein heldenhafter Enkel in diesem Zustand zu nichts mehr zu gebrauchen war. Er beurlaubte ihn für ein Jahr, und in diesem Jahr ward Anbar in den Hochwelten nicht gesehen. Er verbrachte seine Zeit in Sommerhalt und lebte dort sichtlich auf. Wir unternahmen damals viele gemeinsame Spaziergänge durch Brisa, die Kinder Amandis und Ulissa im Schlepptau. Zu dieser Zeit lernte ich Anbar erst richtig kennen. Ich nahm ihn zum ersten Mal als Erwachsenen wahr. Das Jahr ging vorüber und Torben rief seinen Enkel nach Antolia zurück. Er ging schweren Herzens, sein Urlaub war vorbei.“
    „Zu der Zeit war seine Tante schon tot?“, fragte Elsa.
    „Unglücklicherweise ja“, sagte Leimsel. „Lian starb vier Jahre zuvor bei Ulissas Geburt, völlig unerwartet. Gastan verkraftete es nicht, er zog sich aus der Politik zurück und spukte wie ein Verfluchter durchs Haus. Es war eine harte Zeit für Sistra. Sie war dankbar für Anbars Unterstützung und wütend auf Torben, als dieser seinen Enkel nach Antolia zurückpfiff.“
    „Hätte er sich nicht weigern können?“
    „Anbar ist in vielerlei Hinsicht ein typischer Antolianer. Er hängt an seiner Familie, er wollte sie nicht betrüben. Offener Widerstand war ihm damals fremd. Er wollte tun, was sie von ihm erwarteten, nur schaffte er

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