Rabenschwärze - Der Grubenmann (German Edition)
er selbst dazu gesagt?“
„Gar nichts. Er hatte sichtlich wenig Lust, im Rat zu sitzen. Aber er tat, was sein Großvater von ihm verlangte. Torben wollte, dass Anbar möglichst schnell lernte, was man wissen muss, wenn man ein Mitglied der Regierung ist. Er schickte ihn auf Reisen durch die Hochwelten, jagte ihn durch allerlei Praktika und verdonnerte ihn zu kleinen Repräsentationsaufgaben. Für Ausflüge nach Sommerhalt blieb fast keine Zeit mehr. Das schmeckte dem Knaben natürlich überhaupt nicht. So lässt es sich wohl erklären, dass er während einer Bergwerksbesichtung in einer Kolonie namens Oinego zu Dummheiten aufgelegt war. Statt den langweiligen Ausführungen des Bergwerkdirektors zu lauschen, blieb er einfach hinter der Gruppe zurück und sprang über die Absperrungen, eine nach der anderen, um auf Maschinen herumzuklettern, die scheinbar stillstanden. Plötzlich aber bewegten sie sich doch und da war es auch schon zu spät: Er wurde in die Tiefe gezogen und wäre fast von den Schaufeln zermalmt worden, hätte er sich nicht in einen alten Stollen gerettet, in dem kein Erz mehr abgebaut wurde. Zu seinem Pech musste er feststellen, dass es von diesem Stollen aus keinen Weg zurück gab. Die Maschinen sausten an ihm vorbei, hinab und hinauf und hätten ihn zerquetscht, wenn er sich dazwischen begeben hätte. Die Menschen an der Oberfläche konnten nicht ahnen, dass er den Sturz überlebt hatte, und selbst wenn, dann wäre es ihnen unmöglich gewesen, ihn wieder heraufzuholen. Die modernen Bergwerke sind für Maschinen gemacht, Menschen haben dort unten weder Platz noch eine Aufgabe. Er musste also im alten Stollen bleiben und in die entgegengesetzte Richtung gehen. So bewegte er sich zwar bergauf, doch auch tiefer in den Berg hinein. Schon nach kurzer Zeit musste er begreifen, dass er dort unten lebendig begraben war.“
Leimsel beugte sich vor und beschrieb Elsa mit den Händen ein Gebirge.
„Du musst dir vorstellen, dass die ersten Bewohner von Oinego das Erz auf der anderen Seite des Gebirgszuges im Tagebau abbauten. Im Laufe der Jahrhunderte gruben sie immer tiefere Stollen in den Berg hinein. Nach vielleicht tausend Jahren begann man, von der anderen Seite des Berges aus zu graben, allerdings bohrte man zu diesem Zweck besonders tiefe Schächte, denn das Erz lag hier viel weiter unten als auf der anderen Seite. Das Innere des Berges, in dem sich Anbar befand, war also durchlöchert von Stollen, Tunneln und Gängen vieler Jahrhunderte. Es war ein Sammelsurium aus Sackgassen und verschütteten Zugängen. Anbar wusste, dass er nur eine verschwindend geringe Chance hatte zu überleben. Die Chance bestand darin, durch das Innere des Berges zu klettern und in diesem Labyrinth einen Zugang zu einem der alten Tagebautunnel zu finden. In der Hoffnung, dass einer davon auch nach tausend Jahren immer noch ins Freie führte. Eine Unmöglichkeit, aber was tut ein Mensch, der tief in der kalten Erde sitzt und nur noch auf seinen Tod warten kann? Jeder von uns hätte sich auf den Weg gemacht.“
„Aber es war nicht vollkommen dunkel? Weil dort das Erz vorkam, aus dem die leuchtenden Steine gemacht werden?“
„Ja, das war sein Glück. Solange er sich in den alten Stollen bewegte, gab es Rückstände, manchmal sogar größere Adern von Erz, die nicht abgebaut worden waren. Wenn er sie mit der Hand berührte, fingen sie an zu leuchten, und wenn er unter der Erde schlief, umgab ihn ein matter Schimmer von Licht. Er fand immer wieder Wasser dort unten, manchmal waren es nur Tropfen, die übers Gestein liefen. Aber er fand nichts zu essen, er war verletzt und wurde mit jedem Tag schwächer. Er spricht nicht über die Zeit im Berg. Das Wenige, was die Welten darüber wissen, haben sie von seiner Familie erfahren, der er nach seiner Rückkehr aus Oinego davon berichtete. Das war das einzige Mal, das er etwas erzählte. Mehr als das werden wir wahrscheinlich nie erfahren.“
„Er ist dort unten dem Tod begegnet?“, fragte Elsa vorsichtig.
„So mag es ihm vorgekommen sein. Er hatte schon aufgegeben, doch als er merkte, dass er sterben würde, nahm er ein letztes Mal all seine Kräfte zusammen und hatte plötzlich Erfolg. Er fand einen Ausgang. Es ist keine bilderreiche Geschichte, daher stürzen sich die Illustratoren auf die Sache mit dem Tod. Mal ist er ein Schatten, mal ein Mann mit weißem Schädel und schwarzem Umhang. Der Tod ist sehr gruselig und ein wichtiges Spannungselement. Die Kinder bekommen immer
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